Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars
Rundheit. Thermodynamik von abkühlendem Gestein in Magmakammern und Magmatrichtern. Draußen, inmitten der umgebenden Wände, bot sich ein atemberaubendes Bild. Die Wände sahen nach allen Richtungen gleich hoch aus, ein Schulbeispiel für die Fähigkeit der Verkürzung der Wahrnehmung vertikaler Distanzen.
Sax marschierte mit gleichmäßigen Schritten dahin. Der Calderaboden war ziemlich glatt, mit gelegentlichen Lavabomben- und Meteoritentreffern und flachen gebogenen Gräben. Einige von ihnen mußte man umgehen - ein sehr passendes Wort, da es sich wirklich um Umgehungen handelte. Aber zum größten Teil konnte er direkt auf den gebrochenen Klippensturz im Nordwestquadrant der Caldera zugehen.
Es erforderte sechs Stunden ständigen Marschierens, den Boden des Südkreises zu durchqueren, der weniger als zehn Prozent des Gesamtareals der Caldera ausmachte, von dem der ganze Rest für ihn während des Marsches unsichtbar blieb. Kein Anzeichen von Leben, keinerlei Störung des Calderabodens oder der Wände. Die Atmosphäre war sichtlich dünn, alles gleich scharf für das Auge, etwa um die ursprünglichen zehn Millibar, schätzte er. Die unberührte Natur der Dinge machte ihn unsicher wegen der Abdrücke seiner Stiefel; und er versuchte, auf harten Fels zu treten und Staubflecke zu vermeiden. Der Anblick der urtümlichen Landschaft war seltsam befriedigend: Rötlich, obwohl die Farbe meist ein Überzug aus dunklem Basalt war. Seine Farbtafel war bei ungewöhnlichen Mischungen nicht so gut.
Sax war noch nie in eine der großen Calderas hinunter gestiegen. Und selbst wenn man viele Jahre in großen Impaktkratern verbracht hatte, so war man, wie er fand, nicht vorbereitet auf die Tiefe der Kammern, die Steilheit der Wände und die Ebenheit des Bodens. Die schiere Größe der Dinge.
Um die Mitte des Nachmittags näherte er sich dem Fuß des nordwestlichen Bogens. Das Zusammentreffen von Felswand und Boden tauchte über seinem Horizont auf, und zu Saxens Trost erschien die Blockhütte direkt vor ihm. Seine APS-Peilung war recht genau gewesen. Keine komplizierte navigatorische Leistung, aber an einer so exponierten Stelle war es erfreulich, wenn man richtig auf Kurs war. Seit seinem Erlebnis in dem Sturm vor langer Zeit war er etwas achtsamer geworden. Allerdings würde es hier oben auch keine Stürme geben.
Als er sich den Schleusentüren der Hütte näherte, erschien aus dem Grund einer ungeheuer steilen Rinne in der gebrochenen Fläche der Klippe, die ungefähr einen Kilometer westlich der Schutzhütte in den Kraterboden einmündete, eine Gruppe von Leuten. Es waren vier Gestalten mit großen Rucksäcken. Sax blieb stehen. In seinem Helm war der Atem laut zu vernehmen. Er erkannte die letzte Person sofort. Ann kam herein, um sich wieder zu versorgen. Jetzt mußte er sich etwas ausdenken, das er ihr sagen konnte. Und es dann auch nicht vergessen.
In der Hütte nahm Sax seinen Helm ab und fühlte dabei eine vertraute, aber höchst unwillkommene Spannung im Magen. Es ging bei jeder Begegnung mit Ann immer schlechter. Er drehte sich um und wartete. Endlich kam Ann herein, nahm den Helm ab und sah ihn. Sie stutzte, als sähe sie ein Gespenst und rief: »Sax?«
Er nickte. Er erinnerte sich an ihre letzte Zusammenkunft vor langer Zeit auf der Insel von Da Vinci. Das kam ihm vor wie ein früheres Leben. Er hatte seine Zunge verloren.
Ann schüttelte den Kopf und lachte vor sich hin. Sie durchquerte den Raum mit einer Miene, die er nicht deuten konnte, und erfaßte mit beiden Händen seine Arme, beugte sich vor und küßte ihn sanft auf die Wange. Als sie sich zurückzog, hielt sie mit einer Hand weiter seinen linken Arm fest und ließ sie bis zum Handgelenk heruntergleiten. Sie sah ihn direkt an, und ihr Griff war wie Stahl. Sax war wieder sprachlos, obwohl er sehr zu sprechen wünschte. Aber es gab nichts zu sagen, oder zu viel. Er konnte nicht einmal sagen, welches von beiden. Seine Zunge war wie gelähmt. Diese Hand auf seinem Handgelenk. Das hinderte ihn mehr, als jeder scharfe Blick oder jede schneidende Bemerkung es je bewirkt hätten.
Eine Welle schien durch sie zu laufen, und sie wurde etwas mehr zu der Ann, die er kannte. Sie sah ihn bedenklich und dann alarmiert an. »Sind alle okay?«
»Ja, ja«, sagte Sax. »Ich meine, du hast von Michel gehört?«
»Ja.« Ihr Mund verengte sich. Für eine Sekunde wurde sie die schwarze Ann seiner Träume. Dann durchfuhr sie etwas anderes, und sie war diese neue
Weitere Kostenlose Bücher