Mars
Universum bot. Jamie merkte, daß er im Lauf der langen, ermüdenden Wochen immer öfter dorthin ging. Es würde über neun Monate dauern, bis sie den roten Planeten erreichten und in eine sichere Umlaufbahn um ihn herum einschwenkten. Neun Monate der Inaktivität, in denen man ständig auf Tuchfühlung war, wie ein Dutzend Sardinen in einer Aluminiumdose. Nein, nicht wie in einer Dose, sagte sich Jamie. Wie in einem Druckkochtopf.
Sicher, es gab die eine oder andere Arbeit für sie. Und einen strengen Plan für körperliche Ertüchtigung in dem schrankgroßen Sportraum. Aber das war alles reine Formsache. Jamie riß seine Stunden an den Geräten herunter, wie es von ihm verlangt wurde; er hielt seine Muskeln in Form, aber seine Gedanken schweiften hierhin und dorthin – er langweilte sich, hatte zu nichts Lust und war schlecht gelaunt.
Alle zwei oder drei Tage erhielt er einen Anruf von DiNardo, der sich mittlerweile von seiner Operation erholt hatte. Der Jesuit gab ihm einen Ü berblick ü ber die Arbeit, die in mehreren Labors auf der Erde vonstatten ging, die weitere Analyse der Steine und Bodenproben, die von den unbemannten Robot-Explorern vom Mars mitgebracht worden waren. Die diversen Analysen unterschieden sich nur in winzigen Details: Alle Bodenproben waren steril, obwohl ein paar Steine Spuren von organischen Stoffen enthielten, kohlenstoffreiche chemische Verbindungen, bei denen es sich m ö glicherweise um die Vorl ä ufer lebender Organismen handelte.
Die Grundstoffe des Lebens mögen in diesen Steinen vorhanden sein, aber das ist ungefähr so aufregend, als sähe man sich die Flaschen mit Aspirintabletten in der Vitrine eines Drugstores an. Sie haben nichts Lebendiges in den Proben gefunden, nicht mal eine Amöbe.
Als sie schon fast vier Monate unterwegs waren, fragte Jamie plötzlich: »Wie geht es Professor Hoffmann? Arbeitet er an diesen Analysen mit?«
Es dauerte mehrere Minuten, bis die Botschaften die Distanz zwischen den Raumschiffen und der Erde ü berwunden hatten. W ä hrend Jamie auf den kleinen Bildschirm der Kommunikationskonsole blickte, sah er, wie sich auf DiNardos dunkelbraunem Gesicht Ü berraschung und dann noch etwas anderes abzeichnete. Schuldbewu ß tsein? Der Priester fuhr sich mit einer Hand ü ber den rasierten Sch ä del, bevor er antwortete.
» Professor Hoffmann hat offenbar einen Nervenzusammenbruch erlitten. Er ist momentan in einem Sanatorium in Wien. «
Jamie merkte, wie die gleiche Ü berraschung, die sich in Schuldbewu ß tsein verwandelte, in seinen Eingeweiden zu brennen begann.
» Ich habe ihn besucht « , fuhr DiNardo fort. » Seine Ä rzte versichern mir, da ß er in ein paar Wochen oder so wieder auf dem Damm sein wird. «
Ich m ö chte wissen, wie ich darauf reagiert h ä tte, wenn ich in letzter Minute aus dem Team geflogen w ä re, dachte Jamie. Er wechselte das Thema, kam wieder auf geologische Fragen zu sprechen und beendete die Unterhaltung mit dem Priester, so schnell es ging.
Er verlie ß die Kommunikationskonsole vorn auf dem Flugdeck und eilte durch das ganze Habitatmodul zum Beobachtungsfenster zur ü ck. Nach einer unausgesprochenen Ü bereinkunft galt die Sektion mit dem Fenster als Privatraum. Immer wenn jemand hineinging und die Luke schlo ß , die sie vom ü brigen Modul trennte, ging kein anderes Mitglied der Besatzung hinein. Es war der einzige Ort an Bord des Marsschiffes, wo man allein sein konnte.
Jamie mu ß te allein sein, fern von all den anderen. Doch als er den engen Gang entlangeilte, sp ü rte er, wie ihn auf einmal eine Woge des Zorns ü berflutete. Kein Schuldgef ü hl. Kein Mitleid. Zorn. Immer m ü ssen sie einem irgendwas wegnehmen, h ö rte er eine Stimme in seinem Kopf klagen. Sie g ö nnen dir nie den ganzen Kuchen; sie lecken immer vorher den Zuckergu ß ab. Oder pissen drauf. Ich bin also auf dem Weg zum Mars, und Hoffmann ist in der Klapsm ü hle. Na toll.
Dann erinnerte er sich an eine viele Jahre zur ü ckliegende Begebenheit mit seinem Gro ß vater, als er selbst noch ein eifriger junger Sch ü ler an der Highschool gewesen war, der es gar nicht hatte erwarten k ö nnen, ihm zu zeigen, wieviel er in seinen naturwissenschaftlichen Kursen gelernt hatte. Er hatte versucht, Al die Gesetze der Thermodynamik zu erkl ä ren, und dabei mit Begriffen wie › Entropie ‹ , › Temperaturgef ä lle ‹ und thermisches Gleichgewicht um sich geworfen.
» Ach, damit kenne ich mich aus « , hatte Al gesagt.
» Tats ä
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