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Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Titel: Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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erwischt.
    »Warum versuchst du nicht zu arbeiten?«, hatte Serge gefragt.
    »Na klar, super. Ich könnte mir einen Fernseher kaufen, mit Videorecorder, Rentenbeiträge zahlen und zusehen, wie die Kawas auf der Straße vorbeiziehen. Wie Kühe, die den Zügen nachglotzen. Das ist was, nicht? Klar, super, Leute. Das ist supercool ...«
    Er machte sich über uns lustig. Zugegeben, es war nicht unsere Stärke, die Errungenschaften der bürgerlichen Gesellschaft anzupreisen. Aber Vorträge über Moral ‒ das beherrschen wir. Sie verschwanden im schwarzen Loch.
    Arno redete weiten »Die Leute wollen Maschinen. Ich besorge ihnen Maschinen. Ich richte sie ihnen her, und sie sind zufrieden. Es ist günstiger als beim Händler, und Mehrwertsteuer ist auch nicht drauf, also ...«
    Ich hatte in mein Glas geschaut, über die Nutzlosigkeit solcher Diskussionen nachdenkend. Serge wollte noch ein paar schöne Sätze anbringen, aber Arno schnitt ihm das Wort ab. »Für Klamotten gibts das Kaufhaus Carrefour. Freie Auswahl. Fürs Futtern genauso. Brauchst nur zu bestellen.« Er sah uns spöttisch an: »Wollt ihr nicht mal mitkommen?«
    Ich musste oft an Serges Credo denken: »Wo Revolte ist, ist Wut. Wo Wut ist, ist Leben.« Das war schön gesagt. Vielleicht hatten wir zu viel Vertrauen in Arno gesetzt. Oder zu wenig. Auf jeden Fall nicht so viel, dass er an jenem Abend zu uns gekommen wäre, als er beschloss, in eine Apotheke am Boulevard de la Liberation, Ecke Canebière, einzubrechen. Ganz allein, wie ein Blödmann. Und nicht mal mit einer Kaufhauspistole aus Plastik. Klein, mit einer echten, dicken, schwarzen Pistole mit echten, tödlichen Kugeln. Nur weil Mira, sein großes Schwesterherz, die Gerichtsvollzieher im Nacken hatte. Und weil sie fünftausend Francs in bar brauchte, damit sie mit ihren beiden Gören nicht auf der Straße landete.
    Arno hatte fünf Jahre aufgebrummt bekommen. Mira war aus der Wohnung geflogen. Sie hatte ihre beiden Kinder genommen und war zu ihrer Familie in Perpignan zurückgekehrt. Die Sozialar - beiterin hatte nichts für sie tun, das Bezirksamt im Viertel nichts verhindern können. Weder Serge noch ich konnten etwas für Arno tun. Unsere Zeugenaussagen wurden einfach das Klo hinunter - gespült. Die Gesellschaft muss ab und zu ein Exempel statuieren, um der Allgemeinheit zu zeigen, dass sie die Lage fest im Griff hat. Und aus war der Traum der Gimenez-Gören.
    Wir waren auf einen Schlag älter geworden, Serge und ich. In seinem ersten Brief hatte Arno geschrieben: »Mir geht hier alles tödlich auf den Geist. Mit den Typen hab ich nichts am Hut. Da ist einer, der ohne Ende von seinen Heldentaten erzählt. Der hält sich für Mesrine. So ein Idiot! Der andere, ein Rebeu, interessiert sich nur für deine Kippen, deinen Zucker, deinen Kaffee ... Die Nächte sind lang. Aber ich kann nicht schlafen, obwohl ich total kaputt bin. Fertig mit den Nerven. Also wälze ich pausenlos Gedanken ... «
    Pertin hatte mich nicht aus den Augen gelassen, so glücklich war er über seine Wirkung. »Wie erklärst du das, he? Dass er bei diesem Hurensohn untergekrochen ist?«
    Ich stemmte mich langsam aus dem Stuhl und näherte mein Gesicht dem seinen. Ich griff nach seiner Ray-Ban und zog sie ihm die Nase runter. Er hatte kleine Augen. Gelbe, fiese Augen. Hyänen mussten genau solche Augen haben. Es war ziemlich abstoßend, gerade in diese Augen zu schauen. Er zuckte nicht mit der Wimper. Wir verharrten so für den Bruchteil einer Ewigkeit. Mit einem heftigen Fingerstoß schob ich ihm die Ray-Ban wieder hoch.
    »Wir haben genug voneinander gesehen. Ich hab noch was zu tun. Vergiss mich.«
    Carli hielt seine Finger über den Tasten in der Schwebe und starrte mich mit offenem Mund an.
    »Wenn du deinen Bericht fertig hast«, sagte ich, »unterschreibst du ihn für mich und wischst dir den Arsch damit ab. Okay.« Ich wandte mich zu Pertin. »Ciao, Deux-Têtes.«
    Ich ging hinaus. Niemand versuchte, mich aufzuhalten.

Viertes Kapite l
    In dem unweigerlich die Leute
sich treffen

    Als ich wieder im Bigotte-Viertel ankam, war die Dunkelheit hereingebrochen. Zurück zum Ausgangspunkt. Vor Haus D4. Die Kreideumrisse von Serges Leiche auf der Fahrbahn verblassten schon. In den Wohntürmen hatte man bestimmt bis zu den Zwan - zig-Uhr-Nachrichten über den Typ geredet, der vor ihrer Haustür umgenietet worden war. Danach war wieder Alltag eingekehrt. Auch morgen würde es im Norden grau und im Süden schön sein. Und das fanden

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