Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Titel: Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
Vom Netzwerk:
auch
Bedauern geh ö rt

    Der Morgen zog herauf, als ich Cue zum nächsten Taxistand begleitete, der so nah auch wieder nicht war. Wir mussten bis zu r Vieille-Chapelle zurückkehren, um einen Wagen zu finden.
    Wir waren rauchend dahingefahren, ohne ein Wort zu wechseln. Ich mochte diese dämmrige Stunde vor Tagesanbruch. Sie war von einer Unberührtheit, die niemand für sich beanspruchen konnte. Nicht mit Geld zu bezahlen.
    Cue sah mich an. Ihre Augen hatten immer noch diesen kohlrabenschwarzen Glanz, dem ich sofort verfallen war. Müdigkeit und Kummer hatten einen kaum wahrnehmbaren Schleier darüber gelegt. Aber vor allem hatten sie jetzt, von der Lüge befreit, ihre Gleichgültigkeit verloren. Es war ein menschlicher Blick. Mit seinen Wunden und Narben. Und Hoffnungen.
    Während unseres gut zweistündigen Gesprächs hatte ich einen Whisky nach dem anderen gekippt. Die Flasche Lagavulin war dabei draufgegangen. Cue hatte sich mitten im Satz unterbrochen, um zu fragen: »Warum trinkst du so viel?«
    »Aus Angst«, hatte ich ohne weitere Erklärung geantwortet.
    »Ich habe auch Angst.«
    »Das ist nicht dieselbe Angst. Je älter wir werden, desto mehr Dinge tun wir, die nicht wieder gutzumachen sind. Verstehst du? Ich versuche es zu vermeiden, so wie mit dir. Aber das sind nicht die schlimmsten Sachen. Es sind die anderen, unausweichlichen. Weicht man ihnen aus, kann man morgens nicht mehr in den Spiegel schauen.«
    »Und das macht dich fertig?«
    »Ja, genau. Jeden Tag etwas mehr.«
    Sie hatte geschwiegen. Gedankenverloren. Dann hatte sie weitergefragt: »Und Guitou rächen: Ist das so eine Sache?«
    »Töten ist immer eine nicht wieder gutzumachende Tat. De n Abschaum zu töten, der das getan hat, scheint mir unausweichlich zu sein.« Das hatte ich sehr überdrüssig gesagt. Cue hatte ihre Hand auf meine gelegt. Nur um diesen Überdruss zu teilen.
    Ich hielt hinter dem letzten W agen am Taxistand. Ein Fahrer, d er seinen Tag begann. Cue küsste mich auf die Lippen. Flüchtig, per letzte Kuss. Der einzige. Denn wir wussten: Was nicht geschehen war, würde auch nicht mehr geschehen. Auch das Bedauern gehörte zum Glück.
    Ich sah sie ins Taxi steigen, ohne sich umzudrehen. Wie Mourad. Das Taxi fuhr los, entfernte sich, und als ich die Rücklichter aus den Augen verloren hatte, kehrte ich um und fuhr nach Hause.
    Endlich schlafen.
    Jemand schüttelte mich sanft bei den Schultern. »Fabio ... Fabio ... He! He! ... « Ich kannte diese Stimme. Sie war mir vertraut. Die Stimme meines Vaters. Aber ich hatte keine Lust, aufzustehen und in die Schule zu gehen. Nein. Außerdem war ich krank. Ich hatte Fieber. Ja, genau. Mindestens neununddreißig. Mein Körper glühte. Was ich wollte, war Frühstück im Bett. Und dann Tar zan lesen. Ich war sicher, dass Mittwoch war. Die neue Nummer von Tarzans Abenteuern musste herausgekommen sein. Meine Mutter würde sie mir kaufen. Sie konnte es mir nicht abschlagen, weil ich krank war. »Fabio.«
    Das war nicht die Stimme meines Vaters. Aber der Tonfall war derselbe. Sanft. Ich spürte eine Hand auf meinem Schädel. Mein Gott, tat das gut! Ich versuchte, mich zu bewegen. Ein Arm. Den rechten, glaube ich. Schwer. Wie ein Baumstamm. Scheiße! Ich war unter einem Baum eingeklemmt. Nein. Ich hatte einen Unfall gehabt. Allmählich lichtete sich der Nebel in meinem Kopf. Einen Autounfall. Auf der Heimfahrt. Das war es. Ich hatte keinen Arm mehr. Und vielleicht auch keine Beine. »Nein!«, schrie ich und drehte mich um.
    »Oh! Verdammt! Schrei doch nicht gleich wie ein Ochs am Sp i e ß«, sagte Fonfon. »Ich hab dich doch kaum berührt!«
    Ich befühlte mich von oben bis unten. Es schien noch alles dran zu sein. Unversehrt. Die Kleider auch. Ich schlug die Aug en auf.
    Fonfon. Honorine. Mein Schlafzimmer. Ich lächelte.
    »Sie haben mir aber einen ganz schönen Schrecken eingejagt Ich dachte schon, Ihnen sei was zugestoßen. Ein Schlaganfall oder so. Da hab ich Fonfon geholt.«
    »Wenn ich sterbe, hinterlass ich Ihnen am Vorabend eine Nach - richt. Auf dem Tisch. Damit Sie keinen Schreck kriegen.«
    »Hör dir das an«, sagte Fonfon zu Honorine, »kaum ist er wach, schon macht er sich über uns lustig! Und ich vertrödel meine Zeit mit diesem Blödsinn. Dafür bin ich wirklich zu alt!«
    »Oh! Fonfon, sachte, sachte. In meinem Kopf hämmern die Spechte um die Wette! Hast du mir einen Schluck Kaffee mitgebracht?«
    »Was wünschen Monsieur denn noch? Croissant? Brioche? Auf einem Tablett, für

Weitere Kostenlose Bücher