Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
gegeben.«
»Das ist hart«, erinnere ich mich, geantwortet zu haben.
Sie hatte die Schultern gezuckt.
»Wenn ein Typ seinen Jungen im Stich lässt, sich nicht mehr um ihn schert ... Fünf Jahre, verstehst du, nicht mal Weihnachten, nicht mal an seinem Geburtstag, nun, es ist besser so. Er wäre kein guter Vater gewesen.«
»Aber ein Kind braucht einen Vater!«
Sonia hatte mich schweigend angesehen. Wir schwitzten aus allen Poren. Ich mehr als sie. Ihr Bein, das noch immer an meinem ruhte, hatte ein lang vergessenes Feuer in mir entfacht. Eine Feuersbrunst.
»Ich habe ihn aufgezogen. Allein. Mithilfe meines Vaters, das stimmt. Vielleicht lerne ich eines Tages einen Typ kennen, den ich Enzo mit Freuden vorstellen kann. Dieser Typ wird nie sein Vater sein, nein, aber ich glaube, er könnte ihm alles geben, was ein Kind zum Aufwachsen braucht. Autorität und Zärtlichkeit. Auch Ver - trauen. Und Männerträume. Schöne Männerträume ...«
Sonia.
Ich wollte sie in die Arme nehmen. In diesem Augenblick. Sie ganz fest drücken. Sie hatte sich vorsichtig losgemacht, lachend. »Fabio.«
»Schon gut, schon gut.«
Und ich hatte die Hände über den Kopf gehoben, um deutlich zu machen, dass ich sie auch bestimmt nicht anrühren würde.
»Trinken wir noch ein letztes Glas und gehen baden. Einverstanden?«
Ich hatte ins Auge gefasst, Sonia mit auf mein Boot zu nehmen und draußen im Meer schwimmen zu gehen. In tiefen Gewässern. Dort, wo ich im Moment war. Jetzt wunderte ich mich darüber, dass ich Sonia das vorgeschlagen hatte. Ich hatte sie gerade erst kennen gelernt. Mein Boot war meine einsame Insel. Meine Zuflucht. Ich hatte nur Lole darin mitgenommen. Die Nacht, als sie zu mir gezogen war. Und vor kurzem Fonfon und Honorine. Niemals hatte eine Frau die Ehre gehabt, in dieses Boot zu steigen. Nicht mal Babette.
»Sicher«, hatte Hassan gesagt, als ich ihm bedeutete, uns nachzuschenken.
Coltrane spielte. Ich war völlig betrunken, aber ich erkannte Out Of This World. Vierzehn Minuten, die eine ganze Nacht verzehren konnten. Mir ging auf, dass Hassan gleich zumachen würde. Immer wieder Coltrane, um einen jeden seiner Gäste zu begleiten. Zu ihren Liebesspielen. In ihre Einsamkeit. Coltrane auf den Weg.
Ich konnte überhaupt nicht mehr aufstehen.
»Du bist schön, Sonia.«
»Und du bist besoffen, Fabio.«
Wir waren in Gelächter ausgebrochen.
Das Glück. Die Möglichkeit. Immer wieder.
Glück.
Als ich nach Hause kam, klingelte das Telefon. Zehn Minuten nach zwei. Arschloch schimpfte ich wen auch immer, der es wagte, um diese Stunde anzurufen. Ich ließ es klingeln. Der am anderen Ende gab auf.
Ruhe. Ich war nicht müde. Aber hungrig. Honorine hatte mir in der Küche eine Notiz hinterlassen. An einen Tontopf gelehnt, in dem sie ihre Schmorbraten und Ragouts brutzelte. »Das ist Gemüsesuppe au pistou. Sie schmeckt auch kalt. Also, essen Sie trotz allem ein wenig. Ich drücke Sie ganz fest. Fonfon drückt Sie auch.« Daneben hatte sie einen kleinen Teller mit geriebenem Käse gestellt, für alle Fälle.
Es gab zweifellos tausend Arten, Gemüsesuppe mit Basilikum zuzubereiten. In Marseille sagte jeder: »Meine Mutter hat sie so gemacht«, und kochte sie auf seine Weise. Sie schmeckte jedes Mal anders. Je nach den Gemüsen, die man hineintat. Und je nach der Kunst, Knoblauch und Basilikum miteinander abzuschmecken und das Püree schließlich mit dem Fruchtfleisch der abgebrühten Tomaten in dem Gemüsefond zu vermengen.
Honorine gelang die beste aller Pistou-Suppen. Weiße, rote, grüne Bohnen, ein paar Kartoffeln und Makkaroni. Sie ließ sie den ganzen Morgen auf kleiner Flamme köcheln. Danach machte sie sich ans Pistou. Dazu schichtete sie Knoblauch und Basilikumblätter in einem alten Holzmörser. Dabei durfte man Honorine auf keinen Fall stören! »Oh! Wenn Sie da wie eine Krippenfigur rumstehen und mir die ganze Zeit zusehen, wird das nie was!«
Ich stellte den Topf sachte auf den Herd. Die Gemüsesuppe schmeckte erst richtig, wenn sie ein-oder zweimal aufgewärmt war. Ich steckte eine Zigarette an und schenkte mir einen Rest Bandol-Rotwein ein. Einen Tempier 91. Meine letzte Flasche aus dem Jahr. Vielleicht die beste.
Hatte Sonia mit Honorine über all diese Dinge gesprochen? Mit Fonfon? Über ihr Leben als allein stehende Frau. Als allein erzie - hende Mutter. Enzos Mutter. Woher wusste Sonia, dass ich kein glücklicher Mensch war? »Unglücklich«, hatte sie zu Honorine gesagt. Über Lole hatte
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