Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
zusammenströmten. Die Flut ließ sich nicht eindämmen. Wie in schlaflosen Nächten, wenn man sich von dem Film überwältigen lässt, in dem man seine Frau in den Armen eines anderen Mannes sieht, wie sie ihn küsst, ihn anlächelt, ihm sagt: Ich liebe dich, während er in sie eindringt, gurrt: Das ist gut, ja, das ist gut. Es ist dasselbe Gesicht. Dieselben lustvollen Zuckungen, dieselben Seufzer. Dieselben Worte. Und es sind die Lippen eines anderen. Die Hände eines anderen. Das Glied eines anderen.
Lole war fortgegangen.
Und Sonia war tot. Ermordet.
Die klaffende Wunde, aus der dickflüssiges, halb geronnenes Blut auf ihre Brüste und ihren Bauch tropfte, wo es am Bauchnabel eine kleine Pfütze bildete, bevor es weiter auf ihre Schenkel und zwischen die Beine rann. Die Bilder waren da. Widerlich, wie immer. Und das Duschwasser, das das Blut in die Kanalisation spülte ...
Sonia. Warum?
Warum war ich immer auf der falschen Seite des Lebens? Dort, wo das Unglück hereinbrach? Gab es dafür einen Grund? Oder war das purer Zufall? Vielleicht liebte ich das Leben nicht genug?
»Montale?«
Fragen über Fragen, sie überschlugen sich. Und mit ihnen all die Bilder von Leichen, die ich aus meiner Zeit bei der Polizei in meinem Kopf gespeichert hatte. Hunderte von unbekannten Leichen. Und dann die anderen. Die ich geliebt hatte. Manu, Ugo. Und Guitou, so jung. Und Leila. Die wunderschöne Leila. Ich war nie dort gewesen, um es zu verhindern. Ihren Tod.
Immer zu spät, Montale. Du hinkst dem Tod immer einen Schritt hinterher. Dem Leben genauso. Freundschaft. Liebe.
Einen Schritt hinterher, verloren. Immer.
Und jetzt Sonia.
»Montale?«
Und Hass.
»Ja«, sagte ich.
Ich würde das Boot herausholen. Hinausfahren. In die Nacht.
Der Stille meine Fragen stellen. Und auf die Sterne spucken, wie es zweifellos der erste Mann getan hatte, der, als er eines Abends von der Jagd nach Hause kam, seine Frau mit aufgeschlitzter Kehle vorfand.
»Wir müssen Ihre Aussage aufnehmen.«
»Ja ... Wie?«, fragte ich. »Wie ... haben Sie es herausgefunden?«
»Die Kindertagesstätte.«
»Wieso die Kindertagesstätte?«
Ich holte meine Zigaretten hervor und bot Béraud eine an. Er lehnte ab. Er zog einen Stuhl heran und setzte sich mir genau gegenüber. Sein Ton wurde weniger freundlich.
»Sie hat ein Kind. Enzo. Acht Jahre. Wussten Sie das nicht?«
»Ich habe sie erst gestern Abend kennen gelernt.«
»Wo das?«
»In einer Bar. Les Maraîchers. Ich verkehre dort regelmäßig. Sie offensichtlich auch. Aber wir sind uns gestern Abend zum ersten Mal begegnet.«
Er sah mich aufmerksam an. Ich erriet, was in seinem Kopf vorging .
Ich kannte all d ie Schlussfolgerungen eines Flic s auswendig.
Eines guten Flics. Sonia und ich hatten einiges getrunken. Wir hatten miteinander geschlafen. Und dann, wieder nüchtern, wollte sie nicht mehr. Der Fehler einer Nacht. Die Sache, die man nicht versteht. Der Fehler im Lebenslauf einer Familienmutter. Verhäng - nisvoll. Wie gehabt. Alles schon da gewesen. Ein Verbrechen. Ehe - maliger Polizist zu sein ändert daran nichts. An der Wahnsinnstat. Und an ihrer Brutalität.
Sicher unbewusst streckte ich ihm meine Hände entgegen, als ich sagte: »Wir hatten nichts miteinander. Nichts. Wir wollten uns heute Abend wieder treffen. Das ist alles.«
»Ich mache Ihnen keine Vorwürfe.«
»Ich wollte nur, dass Sie es wissen.«
Ich sah ihn meinerseits forschend an. Béraud. Ein fairer Flic. Der gern mit einem fairen Kommissar zusammengearbeitet hatte.
»Der Kinderladen hat Sie angerufen. Stimmts?«
»Nein. Dort haben sie sich Sorgen gemacht. Sie war sonst immer pünktlich. Nicht ein Mal zu spät. Da haben sie den Großvater des Jungen angerufen und ...«
Attilio, dachte ich. Béraud unterbrach sich. Damit ich seine Infor - mation verarbeiten konnte. Der Großvater, nicht der Vater. Er vertraute mir wieder.
»Nicht der Vater?«, fragte ich.
Er zuckte mit den Schultern.
»Der Vater ... Den haben sie nie zu Gesicht bekommen. Der Großvater hat gestöhnt. Er hatte den Jungen schon gestern Abend, und heute Nacht sollte er wieder auf ihn aufpassen.«
Er schwieg. In diesem Schweigen traf ich Sonia, diesmal, um die Nacht mit ihr zu verbringen.
»Sie sollte ihm sein Essen machen, ihn baden. Und ...«
Er sah mich fast mitfühlend an.
»Und?«
»Er hat den Jungen aus dem Kinderladen abgeholt und mit zu sich nach Hause genommen. Dann hat er versucht, seine Tochter im Büro zu erreichen. Aber sie
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