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Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Titel: Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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brauchten niemanden mehr zu beeindrucken. Sie beeindruckten sich selbst.
    Ich folgte ihnen mit den Augen und wettete bei mir, dass sie sich dort mit sechzehn oder siebzehn kennen gelernt hatten. Drei gute Freunde und Freundinnen. Und sie wurden zusammen alt. In diesem einfachen Glück der Sonne auf der Haut. Leben hieß hier nichts anderes, als den einfachsten Gepflogenheiten treu zu bleiben.
    »Macht Ihnen das Spaß, Mädchen zu verführen?«
    »Über das Alter bin ich hinaus«, antwortete ich, so ernst ich konnte.
    »Ach, gut!«, antwortete sie ebenso ernsthaft. »Das hätte ich nicht gedacht.«
    »Wenn Sie auf Sonia anspielen ...«
    »Nein. Auf Ihre Art, mich anzusehen. Wenige Männer sind so di - rekt.«
    »Ich habe eine Schwäche für schöne Frauen.«
    Da hatte sie laut gelacht. Genau wie am Telefon. Ein offenes Lachen, gleich einem Wasserfall in einer Schlucht. Kehlig und warm.
    »Ich bin nicht, was man eine schöne Frau nennt.«
    »Das sagen alle Frauen, bis ein Mann sie verführt.«
    »Sie scheinen sich damit auszukennen.«
    Diese Wendung des Gesprächs brachte mich aus der Fassung. Was erzählst du da!, dachte ich. Sie starrte mich an, und ich kam mir plötzlich linkisch vor. Diese Frau verstand es, zu kontern.
    »Ich kenne mich ein klein wenig damit aus. Gehen wir ein Stück, Madame Kommissar?«
    »Hélène, bitte. Ja, gern.«
    Wir waren am Meer entlanggegangen. Bis zum äußersten Ende des Vorhafens Joliette. Gegenüber stand der Leuchtturm Sainte-Marie. Ja, sie liebte diesen Ort, von wo man die Fähren und Frachter einlaufen sehen konnte, genauso wie ich. Auch sie beunruhigten die ganzen Neubauprojekte im Hafen. Aus den Mündern der Abgeord - neten und Technokraten hörte man immer wieder das gleiche Schlagwort: euromediterran. Alle, sogar gebürtige Marseiller wie unser derzeitiger Bürgermeister, hatten ihren Blick auf Europa geheftet. Nordeuropa, versteht sich. Hauptstadt: Brüssel. Marseille hatte nur eine Zukunft, wenn es auf seine Vergangenheit verzich - tete. Das erklärte man uns. Und häufig, wenn von einer Neuent - wicklung des Hafens gesprochen wurde, bestärkte das nur, dass es mit dem Hafen, so wie er heute war, aus und vorbei sein sollte. Das Symbol alten Ruhms. Selbst die sonst so sturen Marseiller Docker hatten schließlich klein beigegeben.
    Also wurden die Lagerhallen abgerissen. J 3. J 4. Die Piers würden neu hergerichtet werden. Man würde Tunnel bohren. Schnellwege anlegen. Esplanaden. Von der Place de la Joliette bis zum Bahnhof Saint-Charles sollte der Städte-und Wohnungsbau neu überdacht werden. U nd man würde die Küstenlandschaf t neu gestalten. Das war die große neue Idee. Die neue erste Priorität. Die Küsten - landschaft.
    Was man den Zeitungen entnehmen konnte, stürzte jeden belie - bigen Marseiller in größte Ratlosigkeit. Was die hundert Anlege - plätze an den vier Bassins betraf, sprach man von »magischer Funk - tionalität«. Für die Technokraten gleichbedeutend mit Chaos. »Seien wir realistisch«, erklärten sie, »machen wir Schluss mit dieser charmanten, nostalgischen, veralteten Landschaftsgestaltung.« Ich weiß noch, dass ich gelacht habe, als ich in einer Ausgabe der seriösen Zeitschrift Marseille las, dass die Geschichte der Stadt »über den Handelsverkehr mit der Außenwelt aus ihren sozialen und wirtschaftlichen Wurzeln einen Plan für ein großzügig angelegtes Stadtzentrum schöpfen wird«.
    »Da, lies das«, hatte ich zu Fonfon gesagt.
    »So 'n Quatsch kaufst du?«, hatte er gefragt und mir die Zeitschrift zurückgegeben.
    »Es ist wegen des Gutachtens über das Panier-Viertel. Die Ge - schichte betrifft uns.«
    »Wir haben keine Geschichte mehr, mein Lieber. Und was uns davon bleibt, das schieben sie uns in den Arsch. Dabei bin ich noch höflich.«
    »Probier das.«
    Ich hatte ihm einen weißen Tempier eingeschenkt. Es war acht Uhr. Wir saßen auf der Terrasse seiner Bar. Mit vier Dutzend Seeigeln vor uns.
    »Donnerwetter«, hatte er gesagt und mit der Zunge geschnalzt. »Wo hast du den denn her?«
    »Ich habe zwei Kisten. Sechs Rote Jahrgang 91. Sechs Rote 92. Und je sechs Rosés und sechs Weiße 95.«
    Ich hatte mich mit Lulu angefreundet, der Besitzerin der Ländereien in Plan du Castellet. Wir hatten uns bei der Weinprobe über Literatur unterhalten. Über Poesie. Sie kannte Verse von Louis Brauquier auswendig. Aus der Hafenbar und aus Freiheit der Meere.
    Ich bin noch weit und erlaube mir, mutig zu sein,
    aber der Tag wird kommen, an dem

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