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Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Titel: Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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ich ihr nichts erzählt, da war ich sicher. Aber über mich hatte ich gesprochen, das schon. Ausgiebig sogar. Über mein Leben, seit ich aus Dschibuti zurück war, von dem Moment an, als ich Polizist geworden war.
    Lole war mein Schicksal. Kein Unglück. Aber ihr Fortgang war möglicherweise auf meine Lebensweise zurückzuführen. Auf meine Lebenseinstellung. Ich lebte schon zu lange zu ausschweifend, ohne noch an das Leben zu glauben. Hatte ich nicht aufgepasst und war ins Unglück gestolpert? Hatte ich nicht auf all meine Träume, die wahren Träume, verzichtet, als ich glaubte, dass die kleinen Freuden des Alltags zum Glück reichten? Und auf die Zukunft gleich mit? Wenn der Morgen heraufdämmerte, wie in diesem Moment, gab es für mich kein Morgen. Ich war nie mit dem Schiff übers Meer gefahren. Ich war nie ans andere Ende der Welt gereist. Ich war hier geblieben, in Marseille. Einer Vergangenheit treu, die es nicht mehr gab. Meinen Eltern. Meinen verstorbenen Freunden. Und jeder neue Tod eines Nächsten machte das Blei an meinen Füßen und in mei - nem Kopf noch schwerer. Ich war ein Gefangener dieser Stadt. Nicht mal nach Castel San Giorgio in Italien war ich zurückgekehrt ...
    Sonia. Vielleicht hätte ich sie mit Enzo in die Abruzzen begleitet. Vielleicht hätte ich sie dann –oder sie mich –nach Castel San Giorgio geführt, und ich hätte den beiden nahe gebracht, dieses schöne Land zu lieben, das auch mein Land war. Ebenso meins wie diese Stadt, in der ich geboren war.
    Ich hatte hastig einen Teller Suppe ausgelöffelt, lauwarm, wie ich sie mag. Honorine hatte sich selbst übertroffen. Ich trank den Wein aus. Jetzt hatte ich die richtige Bettschwere. Um all den Albträumen zu begegnen. Den Bildern des Todes, die vor meinem inneren Auge tanzten. Nach dem Aufwachen würde ich den Großvater besuchen. Attilio. Und Enzo. Ich würde sagen: »Ich habe Sonia als Letzter gesehen. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, dass sie mich gern hatte. Und ich hatte sie auch gern.« Das nützte nichts, aber es scha - dete auch nicht, es zu sagen, und es konnte nicht schaden, es zu hören.
    Das Telefon begann wieder zu klingeln.
    Wütend hob ich ab.
    »Scheiße!«, fluchte ich, bereit, gleich wieder aufzulegen.
    »Montale«, sagte die Stimme.
    Dieselbe widerliche Stimme, die ich gestern schon zweimal gehört hatte. Kalt, trotz ihres leichten italienischen Akzents.
    »Montale«, wiederholte die Stimme.
    »Ja.«
    »Dieses Mädchen, Sonia, das ist nur, damit du kapierst. Kapierst, dass wir keinen Spaß machen.«
    »Was!«, rief ich.
    »Das ist nur ein Anfang, Montale. Ein Anfang. Du hörst ein bisschen schlecht. Und schwer von Begriff bist du auch. Wir machen weiter. Bis du sie gefunden hast, die Dreckschleuder. Hörst du?«
    »Gemeine Hunde!«, schrie ich. Dann immer lauter: »Arschloch! Kinderficker! Verdammter Drecksack! Scheißkerl!«
    Am anderen Ende: Schweigen. Aber mein Gesprächspartner hatte nicht aufgelegt. Als ich keine Luft mehr kriegte, fuhr die Stimme fort: »Montale, wir werden deine Freunde einen nach dem anderen töten. Alle. Einen nach dem anderen. Bis du die kleine Bellini findest. Und wenn du deinen Arsch nicht hochkriegst, wirst du es am Ende bereuen, noch am Leben zu sein. Du hast die Wahl, kapierst du.«
    »Okay«, sagte ich, total ausgelaugt.
    Die Gesichter meiner Freunde spulten sich im Schnelllauf vor meinen Augen ab. Bis zu Fonfon und Honorine. »Nein«, weinte mein Herz. »Nein.«
    »Okay«, wiederholte ich ganz leise.
    »Wir rufen heute Abend wieder an.«
    Er legte auf.
    »Ich werde den wahnsinnigen Scheißkerl umbringen!«, brüllte ich. »Ich werde dich umbringen! Umbringen!«
    Ich drehte mich um und sah Honorine. Sie hatte den Morgenrock übergezogen, den ich ihr zu Weihnachten geschenkt hatte. Ihre Hände waren über dem Bauch gefaltet. Sie sah mich entgeistert an.
    »Ich dachte, Sie hatten Albträume. So, wie Sie geschrien haben.«
    »Albträume gibt es nur im Leben«, sagte ich.
    Der Hass war wieder da. Und mit ihm dieser widerliche Gestank nach Tod.
    Ich wusste, dass ich den Kerl umbringen musste.

Sechstes Kapitel
    In dem es oft die heimlichen Lieben sind,
die man mit einer Stadt teilt

    Das Telefon klingelte. Zehn Minuten nach neun. Scheiße! Nie hatte das Telefon in diesem Haus so oft geklingelt. Ich nahm ab, auf das Schlimmste gefasst. Allein die Handbewegung wat schweißtrei - bend. Es wurde immer heißer. Selbst durch die geöffneten Fenster kam nicht der kleinste

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