Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
schnau - fend wie ein armer Teufel, hatte ich am Ende des Steilpfades oberhalb der Bucht von Podestat eine Pause eingelegt.
Dort, mit Blick aufs Meer, ging es mir gut. In der Stille. Hier gab es nichts zu verstehen, nichts zu wissen. Alles offenbarte sich vor den Augen in dem Moment, in dem man es genoss.
Ich war nach Félix' Anruf aufgebrochen. Kurz vor zwei. Babette war soeben angekommen. Er hatte sie an mich weitergereicht. Sie hatte in Nîmes nicht den Zug genommen. Einmal im Bahnhof, er - klärte sie, hatte sie gezögert. So ein Vorgefühl. Sie war in eine Leih - wagenfirma gegangen und am Steuer eines kleinen 205 wieder herausgekommen. In Marseille hatte sie den Wagen dann am Hafen geparkt. Sie war mit dem Bus weiter auf die Comiche gefahren. Schließlich war sie zu Fuß bis Vallon-des-Auffes hinabgestiegen.
Ich hatte die Bar geschlossen, die Fensterläden zum Meer zugezogen und das Metallgitter heruntergelassen. Der Saal wurde nur noch schwach erleuchtet durch ein Hochfenster über der Eingangs - tür.
»Mir war danach«, begann sie zu erzählen, »die Stadt in mich einzusaugen. Mich von ihrem Licht durchtränken zu lassen. Ich hab sogar beim Samaritaine angehalten, verstehst du, um eine Kleinigkeit zu essen und zu trinken. Ich hab an dich gedacht. An das, was du oft sagst. Dass man nichts von dieser Stadt begreift, wenn man ihrem Licht gegenüber unempfindlich ist.«
»Babette ...»
»Ich liebe diese Stadt. Ich hab die Leute um mich herum beobachtet. Auf der Terrasse. In der Straße. Ich habe sie beneidet. Sie lebten. Gut, schlecht, mit Höhen und Tiefen, zweifellos wie wir alle. Aber sie lebten. Ich ... Ich fühlte mich wie eine Außerirdische.«
»Babette ...«
»Warte ... Da habe ich meine dunkle Brille abgenommen und die Augen geschlossen. Das Gesicht zur Sonne. Um sie brennen zu spüren, wie wenn man am Strand ist. Ich bin wieder ich selbst ge - worden. Ich habe mir gesagt: › Du bist zu Hause. ‹ Und ... Fabio ... «
»Was?«
»Das stimmt nicht, weißt du. Ich bin nicht mehr ganz zu Hause. Ich kann nicht mehr durch die Straßen gehen, ohne mich zu fragen, ob mir nicht jemand folgt.«
Sie hatte einen Moment geschwiegen. Ich hatte an der Telefonschnur gezogen und mich auf den Boden gesetzt, mit dem Rücken an die Theke gelehnt. Ich war müde. Ich war schläfrig. Ich brauchte frische Luft. Ich hatte zu allem Lust, außer zu hören, was sie sagen würde und was ich in jedem ihrer Worte kommen spürte.
»Ich habe nachgedacht«, fuhr Babette fort.
Ihre Stimme war unnatürlich ruhig. Und das war mir noch unerträglicher.
»Ich könnte in Marseille nie mehr zu Hause sein, wenn ich diese Nachforschungen auf sich beruhen lasse. Die ganze Arbeit, seit Jahren. Ich muss bis ans Ende meiner selbst gehen. Wie jeder hier, auch im Kleinen. Mit dieser Übertreibung, die uns eigen ist. In der wir uns verlieren ... «
»Babette, ich habe keine Lust, darüber am Telefon zu diskutieren.«
»Ich wollte, dass du es weißt, Fabio. Gestern Abend war ich so weit zuzugeben, dass du Recht hattest. Ich hatte alles gut ge wichtet, abgewogen. Aber ... Als ich hier angekommen bin ... Das Glück der Sonne auf meiner Haut, dieses Licht in meinen Augen ... Ich bin es, die Recht hat.«
»Hast du deine Unterlagen bei dir?«, unterbrach ich. »Die Originale.«
»Nein. Sie sind an einem sicheren Ort.«
»Verdammt, Babette!«, rief ich.
»Aufregen bringt nichts. So ist es nun mal. Wie kann man glück - lich leben, wenn man jedes Mal, wenn man irgendwohin geht oder irgendwas kauft, weiß, dass die Mafia wie ein Schwert über einem hängt? Na? Mal ehrlich!«
Ganze Passagen aus ihren Nachforschungen liefen vor meinen Augen ab. Als wenn ich mir an jenem Abend bei Cyril die Festplatte des Computers in den Kopf geschoben hätte.
»In den Steueroasen unterhalten die Verbrechersyndikate Kontakte zu den größten Handelsbanken der Welt; deren örtliche Filialen sind auf private banking spezialisiert und bieten bei der Führung steuerlich hochbegünstigter Konten einen diskreten, persönlichen Service. Diese Möglichkeiten zur Steuerflucht werden von legalen Firmen ebenso genutzt wie von kriminellen Organisationen. Der technologische Fortschritt in Bankwesen und Telekommunikation bietet zahlreiche Möglichkeiten, die Erlöse aus illegalen Transak - tionen rasch weiterzuleiten und verschwinden zu lassen.«
»Fabio?«
Ich klappte mit den Augenlidern.
»Geld kann auf elektronischem Wege problemlos von der Mut-tergesellschaft auf
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