Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
diesem Mädchen, Babette, geantwortet hätte.
»Nein«, hatte ich gesagt.
»Warum nicht?«
Ich hatte nie die Worte gefunden, ihr zu antworten oder sie auch nur anzurufen. Und was sollte ich ihr sagen? Dass ich nicht wusste, wie zerbrechlich die Liebe zwischen Lole und mir war. Und dass sicher alle wirklichen Lieben so sind. So zerbrechlich wie Kristallglas. Dass die Liebe die Menschen bis ins Extrem spannt. Und dass das, was Babette für Liebe hielt, nur eine Illusion war.
Ich hatte nicht den Mut zu diesen Worten. Nicht einmal, ihr zu sagen, dass ich es nach alledem und der Leere, die Lole in mir hinterlassen hatte, nicht für nötig hielt, Babette eines Tages wiederzusehen.
»Weil ich sie nicht liebe, das weißt du genau«, hatte ich Lole geantwortet.
»Vielleicht täuschst du dich.«
» Lole , ich flehe dich an.«
»Du lebst dein Leben, ohne Dinge hinnehmen zu wollen. Mein Gehen, ihr Warten.«
Ich hatte zum ersten Mal Lust, sie zu ohrfeigen.
»Das wusste ich nicht«, sagte Babette.
»Vergiss es. Wichtig ist, was passiert ... Diese Killer, die uns v erfol - gen. Darüber müssen wir gleich reden. Ich hab ein paar Ideen. Um mit ihnen zu verhandeln.«
»Mal sehen, Fabio ... Aber, verstehst du ... Ich glaube, das ist heute die einzige Lösung. Eine Operation › Saubere Hände ‹ in Frankreich. Es ist die einzige Art, die wirksamste, den Zweifeln der Leute zu begegnen. Niemand glaubt mehr an irgendetwas. Nicht an die Politiker. Nicht an die Projekte der Politiker. Nicht an die Werte dieses Landes. Es ... Es ist die einzige Antwort auf den Front National. Die schmutzige Wäsche waschen. Am helllichten Tage.«
»Träumst du?! Was hat das in Italien geändert?«
»Es hat etwas geändert.«
»Klar.«
Sie hatte natürlich Recht. Und nicht wenige Richter in Frankreich waren der gleichen Meinung. Sie schritten mutig voran, Dossier für Dossier. Oft im Alleingang. Manchmal riskierten sie ihr Leben. Wie Hélène Pessayres Vater. Ich wusste das alles, ja.
Aber ich wusste auch, dass ein Aufsehen erregendes Medienereignis dem Land seine Moral nicht zurückgeben würde. Ich zweifelte an der Wahrheit, wie sie manche Journalisten darstellten. Die Nachrichtensendung um zwanzig Uhr war blanke Täuschung. Die brutalen Bilder vom Völkermord gestern in Bosnien, später in Ruanda und heute in Algerien lockten keine Millionen Bürger auf die Straße. Weder in Frankreich noch sonst wo. Beim ersten Erdbeben, beim kleinsten Eisenbahnunglück blätterte man weiter. Überließ die Wahrheit denen, deren Brot sie war. Die Wahrheit war das Brot der Armen, nicht der Leute, die glücklich waren oder sich so schätzten.
»Du hast es selbst geschrieben«, sagte ich. »Dass der Kampf gegen die Mafia mit einem gleichzeitigen Fortschritt in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung einhergehen muss.«
»Das ändert nichts an der Wahrheit. In einem bestimmten Moment. Und dieser Moment ist jetzt da, Fabio.«
»Zum Teufel!«
»Verflixt, Fabio! Was willst du? Dass ich auflege?«
»Wie viele Tote ist die Wahrheit wert?«
»So kann man nicht argumentieren. Das ist die Einstellung von Verlierern.«
»Wir sind verloren!«, schrie ich. »Wir werden nichts mehr ändern. Nicht das Geringste.«
Ich dachte wieder an Hélène Pessayres Worte, als wir uns am Fort Saint-Jean getroffen hatten. An dieses Buch über die Weltbank. Diese abgeschottete Welt, die sich selbst organisierte und aus der wir ausgeschlossen sein würden. Aus der wir schon ausgeschlossen waren. Auf der einen Seite der zivilisierte Westen, auf der anderen die »gefährlichen Klassen« des Südens, der Dritten Welt. Und diese Grenze. Der Limes.
Eine andere Welt.
In der ich, das wusste ich, keinen Platz mehr hatte.
»Ich weigere mich, mir solchen Blödsinn anzuhören.«
»Ich werde dir was sagen, Babette, mach weiter, Herrgott noch mal! Bring sie raus, deine Untersuchung, geh dabei drauf, gehen wir doch alle dabei drauf, du, ich, Honorine, Fonfon, Félix ...«
»Du willst, dass ich verschwinde, stimmts?«
»Wo willst du denn hin, du arme Irre!«
Und die Worte rutschten mir raus.
»Heute Morgen hat die Mafia deinen Freund Bruno und seine Familie mit der Axt liquidiert ...«
Schweigen trat ein. So schwer wie die vier Särge bald auf dem Boden einer Gruft.
»Es tut mir schrecklich Leid, Babette. Sie dachten, du bist da oben.«
Sie weinte. Ich konnte es hören. Dicke Tränen, nahm ich an. Keine Schluchzer, nein, nur Tränen. Panik und Angst.
»Das muss aufhören«,
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