Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
so lebendig. Fünfzig Zentimeter trennten euch. Wenn du deine Hand ausgestreckt hättest, hättest du sie um die Hüfte fassen und zu dir heranziehen können. Sie hätte ihren Bademantelgürtel öffnen und dich mit der Schönheit ihres Körpers bl en den können. Ihr hättet euch leidenschaftlich geliebt, mit unersättlicher Begierde. Danach wäre danach gewesen. Worte finden. Worte, die es nicht gab. Danach hättest du sie verloren. Für immer. Du bist gegangen. Ohne Abschied. Ohne Kuss. Wieder mal.
Er zitterte. Er bremste vor dem erstbesten Bistro am Boulevard de la Corderie. Wie in Trance schloss er das Mofa ab und zog den Helm aus. Er stürzte einen Cognac hinunter. Der Alkohol brannte in seinem Innern. Die Kälte entwich. Er begann zu schwitzen. Er floh auf die Toilette, um sich endlich zu übergeben. Seine Taten und Gedanken zu erbrechen. Sich selber auszukotzen. Den, der Manu im Stich gelassen hatte. Der nicht den Mut aufgebracht hatte, Lole zu lieben. Eine entgleiste Existenz. So lange schon. Zu lange. Das Schlimmste, so viel wusste er, lag noch vor ihm. Beim zweiten Cognac zitterte er nicht mehr. Er war von sich selbst zurückgekehrt.
Er parkte in der Rue Fontaine-de-Caylus. Keine Spur von den Beurs. Es war 18.20 Uhr. Seltsam. Er nahm den Helm ab und hängte ihn an den Lenker, ließ aber den Motor laufen. Der Jüngste erschien. Er kickte einen Ball vor sich her, den er in seine Richtung schoss.
»Verpiss dich, es sind Bullen im Anmarsch. Die lungern vorm Haus deiner Tussi rum.«
Er fuhr los, wieder die kleine Gasse hinauf. Sicher überwachten sie die Durchgänge. Montée-des-Accoules, Montée-Saint-Esprit, quer über die Repenties. Place de Lenche, natürlich. Er hatte vergessen, Lole zu fragen, ob Franckie Malabe sich noch mal gemeldet hatte. Vielleicht hatte er eine Chance, wenn er die Rue des Cartiers ganz oben nahm. Er ließ das Mofa liegen und rannte die Treppen hinunter. Sie waren zu zweit. Zwei junge Bullen in Zivil. Unten an der Treppe.
»Polizei.«
Er hörte die Sirene weiter oben in der Straße. Eingekeilt. Türen schlugen. Sie kamen. Von hinten.
»Keine Bewegung!«
Er tat, was er tun musste. Er tauchte die Hand in seine Jacke. Er musste der Sache ein Ende machen. Nicht mehr auf der Flucht sein. Er war da. Zu Hause. In seinem Viertel. Warum nicht hier. In Mar - seille sterben. Er zielte auf die beiden jungen Polizisten. Von hinten konnten sie nicht sehen, dass er keine Waffe trug. Die erste Kugel zerfetzte ihm den Rücken. Seine Lunge explodierte. Die beiden anderen Kugeln spürte er nicht mehr.
Erstes Kapitel
In dem man sogar ums Verlieren
k ä mpfen muss
Ich hockte mich vor die Leiche von Pierre Ugolini. Ugo. Ich war gerade am Tatort angekommen. Zu spät. Meine Kollegen hatten Cowboy gespielt. Wenn sie schossen , töteten sie. So einfach war das. Anhänger von General Custer. Ein guter Indianer ist ein toter Indianer. Und in Marseille gab es fast nur Indianer.
Ugolinis Akte war auf dem falschen Schreibtisch gelandet. Bei Kommissar Argue. Seine Mannschaft hatte sich in einigen Jahren einen schmutzigen Ruf erworben, aber sie hatte sich bewährt. Man schloss gelegentlich die Augen vor ihren Ausrutschern. Die Be - kämpfung des großen Bandenkrieges hat in Marseille Vorrang. An zweiter Stelle kommt die Aufrechterhaltung der Ordnung in den nördlichen Vierteln. Den Einwanderer-Vororten. Verbotenen Städ - ten. Das war mein Job. Aber ich durfte mir keine Fehltritte leisten.
Ugo war ein alter Kumpel aus meiner Kindheit. Wie Manu. Ein Freund. Auch wenn wir uns seit über zwanzig Jahren nicht gesehen hatten. Manu und Ugo lasteten schwer auf meiner Vergangenheit. Das hatte ich vermeiden wollen. Aber ich hatte Fehler gemacht.
Als ich hörte, dass Argue mit den Ermittlungen über Ugos Anwesenheit in Marseille beauftragt war, setzte ich einen meiner Spitzel auf die Sache an. Franckie Malabe. Ich vertraute ihm. Wenn Ugo nach Marseille kam, würde er zu Lole gehen. Das war tod - sicher. Allen Umständen zum Trotz. Und ich war sicher, dass Ugo kommen würde. Wegen Manu. Wegen Lole . Freundschaft hat Regeln, gegen die man nicht verstößt. Ich erwartete Ugo. Seit drei Monaten. Weil auch ich fand, wir konnten Manus Tod nicht so auf sich beruhen lassen. Wir brauchten eine Erklärung. Wir brauchten einen Schuldigen. Und Gerechtigkeit. Ich wollte Ugo treffen, um darüber zu sprechen. Über Gerechtigkeit. Ich, der Polizist, und er, der Gesetzlose. Um Dummheiten zu vermeiden. Um ihn vor Argue zu
Weitere Kostenlose Bücher