Marsha Mellow
nächsten ein bis zwei Wochen rot zu bleiben.
»Was hältst du davon?«, schlägt Lewis vor. »Vielleicht fällt es dir ja leichter, es ihr zu sagen, wenn du sie dir nackt vorstellst ... Zusammen mit dem Gärtner oder was der war. Dann wird sie dir gar nicht mehr so anmaßend und selbstgerecht vorkommen, und du kannst...«
Den Rest bekomme ich nicht mehr mit, weil mein Kopf aus dem Seitenfenster hängt und ich die Metalliclackierung des Wagens voll kotze. Nun ja, immerhin spucke ich keine giftgrüne Galle.
Die Hölle muss eine Vier-Zimmer-Doppelhaushälfte sein mit einem braunen Rover und blühenden Hortensien ... Moment mal, das kommt mir doch bekannt vor. Irgendwann hatte ich diesen Gedanken bereits. Ich weiß es wieder. Bei meinem Besuch hier vor ein paar Wochen, als ich meinen Eltern schon einmal die große Neuigkeit verkünden wollte. Das wird heute sogar noch eine Spur härter werden - letztes Mal hatte Mum nämlich noch keine wunden Stellen an den Handgelenken, wo sie in Selbstmitleid die Handschellen aneinander gerieben hat.
Nach einem letzten Blick zu Lewis, der ein gutes Stück weiter unten auf der Straße parkt, öffne ich das Gartentor und betrete das Grundstück. Vor der Haustür krame ich nach meinem Schlüssel in der Jackentasche, halte dann aber plötzlich inne. Ich bin noch nicht so weit, hineinzugehen. Stattdessen gehe ich in die Hocke, klappe den Briefschlitz auf und spähe hindurch. Kein Lebenszeichen. Vielleicht ist Dad ja beim Gericht, wo gerade über die Kaution für Mum verhandelt wird. Hätte ich bedenken müssen. Hätte mal besser vorher angerufen, statt einfach so aufzutauchen. Ich könnte ja reingehen und drinnen warten ... Nein, besser, ich geh wieder... Versuche es vielleicht später noch einmal... Oder vielleicht auch nicht.
»Was machst du denn da unten?«
Erschrocken fahre ich zusammen. Ich drehe den Kopf und sehe eine verschwommene Gestalt über mir. Sie hält einen Hammer in der Hand. Und einen langen Meißel in der anderen. Und eine Schachtel Spachtelmasse.
»Oh hallo, Dad«, sage ich verlegen.
»Spionierst du mir schon wieder nach?«, meint er. Sieht so aus, als hätte seine Selbsttherapie nicht angeschlagen. Er klingt genauso unfreundlich wie gestern Abend.
»Nein ... äh ... nein. Wollte bloß schauen, ob jemand da ist.«
»Vielleicht versuchst du es beim nächsten Mal mit der Türklingel«, bemerkt er bissig.
Dad und Sarkasmus? Das ist ja was ganz Neues. Innerhalb der letzten 24 Stunden habe ich völlig neue Seiten an ihm kennen gelernt. So wusste ich bis gestern Abend nicht, dass mein Vater über Temperament verfügt. Und Schimpfworte kennt.
Und jetzt noch dieser Sarkasmus. Alles in allem betrachtet, besitzt er plötzlich lauter interessante neue Eigenschaften, obwohl ich besser mit ihm umgehen konnte, als er noch ein Langweiler war. Mein wütender, fluchender, sarkastischer neuer Vater schiebt mich zur Seite und stapft ins Haus. Ich bleibe in gewissem Sicherheitsabstand auf der obersten Stufe stehen.
»Was ist, willst du nicht reinkommen?«, sagt er. »Tritt ruhig ein in unseren beschaulichen Familienkreis ...«
Schon wieder dieser Sarkasmus.
»... Deine Schwester ist nämlich schon hier...«
Lisa ist hier? Und ich dachte, ich würde sie vorerst nicht mehr zu Gesicht bekommen.
»... und deine Mutter hat sich oben hingelegt. Sie war ziemlich mitgenommen, als ich sie endlich mit nach Hause nehmen durfte. Also habe ich den Arzt kommen lassen, und der hat ihr Beruhigungsmittel verabreicht. Ich mache mir jetzt ein Sandwich. Willst du auch eins?«
Das hört sich doch schon viel freundlicher an.
»Nein, danke«, lehne ich ab, obwohl ich kurz vor dem Verhungern bin.
Er macht sich auf in Richtung Küche, während ich eintrete und mir vorher wie besessen die Füße auf der Matte abtrete - ich möchte meinem Sündenregister nicht auch noch Flecken auf dem Teppich hinzufügen. Vorsichtig stecke ich den Kopf durch die Wohnzimmertür und erspähe Lisa in sittsamer Haltung auf dem Sofa. Normalerweise nimmt sie die gesamte Couch in Beschlag, mit den Füßen auf der Lehne. Aber jetzt sind ihre Knie und Knöchel zusammengepresst, ihr Rücken kerzengerade und die Hände ruhen brav auf den Oberschenkeln. Sie sieht aus, als würde sie sich als Gouvernante bewerben. Schon komisch, was für Veränderungen ein schlechtes Gewissen bewirken kann. Im Fernsehen beschimpft Ann Robinson gerade irgendwelche Normalbürger, aber Lisa scheint mit den Gedanken woanders zu sein. Sie bemerkt
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