Marsha Mellow
geistesabwesend.
»Mein Freund. Der, der mit den Triaden nichts am Hut hat.«
»Oh Gott, Lisa, tut mir Leid, ich war total...«
»Woanders? Schon okay. Ist verständlich.«
»Also«, sage ich. »Was ist mit Dan?«
»Die totale Katastrophe«, seufzt Lisa.
»Was ist eine totale Katastrophe?«, fragt unser Vater dazwischen, den Mund voller Ingwerkekse.
»Ach, nichts«, schwindelt Lisa instinktiv.
»Dann ist ja gut... Mit ›Ach, nichts‹ kann ich umgehen«, sagt er und lässt sich in seinen Sessel sinken. »Würde es euch übrigens was ausmachen, diesen Mist abzuschalten? Diese Kuh geht mir nämlich auf den Wecker.«
Lisa schaltet umgehend aus und sieht mich erschrocken an. Ich weiß genau, was sie jetzt denkt. Der Schwächste fliegt ist Mums Lieblingssendung. Das ist auf ihre konservative Anschauung zurückzuführen - sie findet es klasse, dass nur die Stärksten sich durchsetzen und die Verlierer von keinem sozialen Netz aufgefangen werden. Bestimmt hegt sie insgeheim die Überzeugung, dass man im Öffentlichen Gesundheitswesen genauso verfahren sollte und man nichtsnutzige Dialyse-Patienten mit den Worten »Sie sind das schwächste Glied. Auf Wiedersehen« verabschieden sollte, bevor sich eine Falltür unter ihnen öffnet. Bislang hatte ich angenommen, dass Dad die Sendung ebenfalls gerne schaut. Schließlich hat er sie zusammen mit Mum immer von Anfang an verfolgt, wobei absolute Ruhe zu herrschen hatte. Aber offenbar geht ihm diese Kuh Ann Robinson auf den Wecker . Irgendetwas hat sich verändert. Ich würde ihn gern ansehen, um herauszufinden, was in ihm vorgeht, aber ich kann nicht. Stattdessen starre ich auf meine Füße.
»Es tut mir unheimlich Leid«, murmle ich zu dem Glanz auf meinen Schuhen.
»Was war das?«, meint er.
»Es tut mir... es tut uns beiden Leid. Du weißt schon. Weil wir gedacht haben ...«
»Deine Schwester hat sich bereits entschuldigt«, entgegnet er. »Was ist nur in euch gefahren, dass ihr ernsthaft glauben konntet, ich hätte eine Affäre?«
»Das war eigentlich wegen Mum«, antworte ich. »Sie hat... äh ... sich Sorgen wegen dir gemacht.«
»Das hätte ich mir ja denken können«, sagt er genervt und so leise, dass es vermutlich an sich selbst gerichtet war.
»Es tut mir auch Leid wegen Mum«, sage ich. »Du weißt schon, weil ich sie immer zum Ausrasten bringe und so.«
»Hast du ihr etwa die Dose in die Hand gedrückt und ihr gesagt, sie soll drauflos sprühen?«
»Nein, aber...«
»Was soll dann die Entschuldigung? Deine Mutter ist für ihr Verhalten allein verantwortlich.«
Das wirft mich jetzt um. Warum macht er mir denn keine Vorwürfe? Hat er etwa schon vergessen, wie das in unserer Familie läuft? Wenn er mir keine Schuld gibt, wird Mum ihn ebenfalls umbringen.
»Erklär mir doch eines, Amy«, sagt er weiter. »In Anbetracht der Tatsache, dass deine Mutter in letzter Zeit sehr labil ist, warum erzählst du ihr dann ausgerechnet, dass dein Freund schwul ist? Ich dachte immer, du wärst die Vernünftigere von euch beiden. Es sieht dir eigentlich nicht ähnlich, einem schlafenden Hund einen ordentlichen Tritt in die Rippen zu verpassen.«
Was kann ich darauf entgegnen? Etwa »Nun ja, Dad, das war so eine Art Ablenkungsmanöver, damit sie nicht herausfindet, dass ich mit meinem schweinischen Porno die öffentliche Moral untergrabe«? Im Grunde müsste ich genau das sagen, aber... ich ... kann nicht. Noch nicht.
Mein Vater erwartet allerdings gar keine Antwort. Er redet sich gerade in Rage. »Versteh mich nicht falsch. Es geht mich überhaupt nichts an, was dein Freund macht. Von mir aus kann er auch der Bischof von Limerick sein und Spitzenrüschen unter seiner Soutane tragen ...«
Was soll das denn? Mein Vater klingt ja fast wie ein Liberaler.
»... Wenn du mich fragst, ist das Priesteramt sogar die perfekte Berufswahl für einen Homosexuellen ...«
Moment mal. Mir fällt plötzlich der erste Bericht ein, den Lisa von Colin Mount erhalten hat. Demnach wurde Dad in einem Schnellimbiss mit dem Guardian unter dem Arm gesichtet. Damals habe ich Witze darüber gerissen, aber jetzt geht mir ein Licht auf. Das war ein Zeichen.
»... Wie sonst können sie dem gesellschaftlichen Zwang entgehen, ein konventionelles Leben zu führen und zu heiraten? Und was ist mit Jesus?«
»Was soll mit ihm sein?«, frage ich zurück. Meine Nerven sind zum Zerreißen gespannt. Abweichende Ansichten über den Sohn Gottes sind definitiv ein Tabuthema unter Mums Dach.
»Seine
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