Marshall McLuhan
im Lehrerzimmer aussah, wenn die Klassenlisten für das nächste Jahr aufgestellt wurden und Marshalls Name fiel.
Man fragt sich auch, wie Marshall als Teenager war. Aller Wahrscheinlichkeit nach war er ein ruhiger Junge, der in der Ecke saß und nicht viel redete, sich aber sofort auf einen stürzte, sobald man ein Wort falsch aussprach. Und vermutlich war er auch damals schon ein bisschen eingebildet, eine Eigenschaft, die er sein ganzes Leben lang behalten sollte. Jedenfalls stellte der junge Marshall schon früh fest, dass er seinen Freunden und seiner Familie intellektuell über den Kopf gewachsen war, vor allem seinem Vater, mit dem Marshall unzählige Diskussionen über Politik, Theologie und Zeitgeschehen führte – ernste Themen. Das mochte Marshall. Herbert war zwar intelligent, aber, wie Elsie, Autodidakt. Ihr Denken entsprach nicht den klassischen Mustern, wie es an den Universitäten gelehrt wurde, und ihre Argumente und Einwürfe konnten aus den unterschiedlichsten Richtungen kommen – ein gutes Training für jemanden, der damit seine Brötchen verdienen will. Marshalls spätere Neigung, erstmal draufloszureden und die Fußnoten nachzuliefern, entstammt wahrscheinlich dieser familiären Dynamik.
In jedem Fall stellte Marshall seine Highschool-Lehrer lange vor dem Abschluss intellektuell in den Schatten. Ihm war klar, dass der Stoff, nach dem sein Geist verlangte, nur an der richtigen Universität zu finden war.
Einverstanden mit dem Nichteinverstanden-sein
Im September 1929, einen Monat vor Beginn der Weltwirtschaftskrise, trat ein erschreckend magerer (68 Kilo, 1,83 m), bücherbesessener McLuhan nach einem einjährigen, seinem Vater zuliebe aufgenommenen Ingenieursstudium (für das ergänzlich ungeeignet war und von dem nur wenig auf Marshall abfärbte, der selbst Jahrzehnte später kaum Auto fahren konnte) ein vierjähriges Bachelor-of-Arts-Studium der Geisteswissenschaften an der University of Manitoba an – die eindeutig richtige Entscheidung für einen jungen Mann, der süchtig nach Büchern ist.
In seinen ersten beiden Jahren besuchte Marshall hauptsächlich allgemeine Kurse in Englisch, Geologie, Geschichte, Latein, Astronomie, Wirtschaftswissenschaften und Psychologie. Und obgleich sein Wissensdurst sich auf alle Bereiche erstreckte, gingen am Ende doch drei wesentliche Stränge daraus hervor: englische Literatur, Geschichte und Theologie.
Religion war Anfang des 20. Jahrhunderts von zentraler Bedeutung für die Kultur in der Prärie, für das Leben der dort ansässigen Familien und ihren gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Frömmigkeit war noch weitgehend ein Flickenteppich europäischer Konfessionen: Unitarier, Methodisten, Baptisten, Presbyterianer, Lutheraner, Ukrainisch-Orthodoxe und Mennoniten. Es bedurfte einer Menge gottesfürchtiger Überzeugung, diese unberührte Neue Welt in eine riesige Nahrungsmittelfabrik zu verwandeln.
Der methodistisch erzogene Marshall hatte keine Probleme mit dem Christentum und seinen diversen Spielarten, auch wenn er später behauptete, an nichts geglaubt zu haben, bevor er 1937 zum Katholizismus konvertierte. Seine streng bibelgläubigen Großmütter brachten ihm sogar die apokalyptischen Seiten des Evangeliums näher. Elsie, die baptistisch erzogen war, entwickelte sich zur Gelegenheitsanhängerin der Christian Science-Bewegung, die ihren ungläubigen Gatten Herbert dafür geißelte, dass er sonntags nicht mit ihr und den Kindern in die Kirche ging. Marshall und sein Bruder waren so etwas wie religiöse Mischlinge. Christian Science war damals sicherlich weniger eine bibeltreue Glaubensgemeinschaft, als vielmehr eine fortschrittliche Lebensweise – bei der es vor allemum Wissen, Auseinandersetzung, Forschung, Kommunikation und Zweifel ging. Das war dem bequemen Herbert wahrscheinlich einfach zu anstrengend.
Während man sich in der Familie der McLuhans auf die Grundzüge des Christentums halbwegs einigen konnte, kam es, was die Details betraf, doch zu Streit, und in Marshall und Maurice (der später presbyterianischer Pfarrer wurde) keimte das Bedürfnis nach etwas Höherem – einer Art theologischem oder kosmischem Masterplan. Elsies Christian Science bekannte sich zur Existenz eines allumfassenden Weltbilds, vielleicht lässt sich Marshalls Streben in den folgenden Jahrzehnten auf ein ähnliches Bedürfnis zurückführen. Der Glaube an die Existenz eines Masterplans bildete weitgehend die Grundlage für Marshalls Denken und Verhalten, sowohl
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