Marshall McLuhan
zeigt auch, wie wenig damals über das Gehirn und die Neuroanatomie bekannt war und wie viele Jahre noch zwischen dem Traum von der Vermessung des Gehirns und der Möglichkeit dazu durch PET- und MRI-Aufnahmen lagen.
Marshall versuchte, Geld für eine Reihe von Tests aufzubringen, und erhielt über Beziehungen von der US-amerikanischen IBM einen Zuschuss über $ 10 000. Bei der sogenannten
IBM Sensory Profile Study
wurde an einer Reihe von IBM-Mitarbei tern getestet, wo ihre sensorischen Präferenzen lagen. Die Ergebnisse hatten im Grunde keinen praktischen Nutzen, aber irgendjemand brachte Marshall auf die Idee, die von ihm entwickelten Untersuchungen könnten Millionen von Dollars wert sein. Marshall drehte durch und fing an, sich mit IBM über die Rechte zu streiten. Damit war die sensorische Studie beendet.
Ein weiteres Forschungsgebiet war das Verhältnis zwischen Klang und gedruckten Buchstaben. Ab welchem Punkt ist der Druck von Schrift nicht mehr lautlos und wird zu Lärm? Das Ergebnis floss in zwei wunderbare Bücher:
The Medium is the Massage
(1967) und das weniger bekannte, aber ebenfalls faszinierende
Counterblast
(1969).
1964: Der Blitz schlägt zweimal ein
Das bei weitem bekannteste Werk in Marshalls Karriere war das nicht geplante uneheliche Kind aus seinem NAEB Report über Medienkunde für Elftklässler – in neuer Verpackung wurde 1964 daraus das wegweisende
Understanding Media: The Extensions of Man
. Es folgte der
Gutenberg-Galaxis
sozusagen auf dem Fuße, und zwar kurz vor Ausbruch der Jugend-, Schwarzen-, Schwulen-, Frauen- und Drogenkultur, als die Welt hektisch nach einer Erklärung für all diesen Lärm suchte.
In
Understanding Media
geht Marshall auf die Manipulation der Sinne durch die elektronischen Medien ein. Er erklärt, dass der offensichtliche Inhalt aller elektronischen Medien unbedeutend ist und stattdessen das Medium selbst viel größeren Einfluss auf die Gesellschaft hat. (Ja, genau, »Das Medium ist die Botschaft«.) Die Wissenschaft lehnte jedoch mehrere von Marshalls Theorien ab, die durch keinerlei Experimente gestützt waren. Die europäische Schwarze-Rollkragen-Fraktion der Kulturtheoretiker war der Meinung, McLuhan vernachlässige die Machtverhältnisse, die wesentliches Merkmal sowohl der Medien als auch deren Inhalt seien und von beiden aufrechterhalten würden.
Das Buch besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil erklärt Marshall: »Der Inhalt eines Mediums ist immer ein anderes Medium«. Daraufhin erörtert er den Unterschied zwischen dem, was er »heiße« und »kalte« Medien nennt. Ein heißes Medium schließt aus, während ein kaltes einschließt. Heiße Medien sind »hoch definiert« und verlangen vom Konsumenten wenig eigene Informationen. Radio ist ein heißes Medium, weil es minimale Beteiligung erfordert. Kalte Medien, wie das Fernsehen, sind dagegen »niedrig definiert« und erfordern eine größere Mitwirkung, weil der Konsument die Lücken ausfüllen muss. Dieser Beurteilungsrahmen ist komplex und häufig widersprüchlich. Er wird häufig als problematisch angesehen, irgendwann aber auch einfach hingenommen, da er zu so vielen anderen interessanten Gedanken führt.
Danach wird es nur noch komplizierter und verwirrender.
Im zweiten Teil analysiert Marshall verschiedene Medien, die 1964 eine Rolle spielten: das gesprochene Wort, das geschriebene Wort, Straßen, Zahlen, Kleidung, Wohnen, Geld, Uhren, Kunstdrucke, Comics, das Rad, das Fahrrad, das Flugzeug, das Foto, die Presse (das, was wir heute die Medien nennen), Autos, Werbung, Spiele, der Telegraf, die Schreibmaschine, das Telefon, Kino, Radio, Fernsehen und Waffen.
Understanding Media
ist viel systematischer als
Die Gutenberg-Galaxis
, aber auch undurchsichtiger, und es erfordert dieselbe Bereitschaft, sich von alten Vorstellungen zu trennen, sie zu erweitern oder zu bereichern. 25 Der McLuhanismus, der über die Jahre hinweg am deutlichsten nachhallt, stammt aus diesem Buch: die Idee vom »globalen Dorf«; die Welt von heute, von miteinander verlinkten Medien erschaffen, ein Ort, an dem die Menschen sich dank der Möglichkeit, Zeit und Raum zu überbrücken, zur Stammesgesellschaft zurückentwickeln.
Am charmantesten ist vielleicht die Stelle, als Marshall beschreibt, wie die Anthropologin Margaret Mead mehrere Exemplare desselben Buchs auf eine pazifische Insel bringt. Die Eingeborenen hatten schon Bücher gesehen, aber immer unterschiedliche und von jedem nur ein Exemplar. Als sie mehrere
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