Marshall McLuhan
zuzusagen. Er war es zwar gewohnt, vierzig bis fünfzig Mal im Jahr ins Flugzeug zu steigen, aber das waren Reisen. Marshall war eher der häusliche Typ, der Gedanke, ein Jahr weg von zu Hause und seiner Familie zu sein, gefiel ihm überhaupt nicht. Da jedoch der größte Teil der Familie mit ihm kommen würde und er seine alten Kumpel Ted Carpenter und Harley Parker und dazu noch seinen Sohn Eric anheuern konnte, nahm Marshall das einmalige Angebot an.
Anfang September bezog die Familie ein großes Haus in einer netten Gegend in der Bronx, und am 18. September hielt Marshall seinen ersten Vortrag vor zirka zweihundert Studenten und Kollegen. Es ging darum, dass der Krieg eine Form von Erziehung darstelle, indem er die Menschen lehrte, inwieweit neue Medien unsere Welt und die Art, wie wir uns selbst wahrnehmen, verändert haben. Zwischen maßvoller Kühnheit und verquerem Denken, Verrücktheiten und unverhohlenen Angriffen, wurde unter anderem die These erörtert, Fernseher seien in gewisser Hinsicht Röntgenapparate, und dass die Geschwindigkeit der Kommunikation die Welt in ein globales Dorf verwandelthabe. Weiterhin ging es um seine Theorie, nach der Neuerungen bei den Kommunikationsmedien eine neue, unsichtbare Umgebung schufen, die immense Auswirkungen auf die Welt habe. Er traf die erstaunliche Feststellung, dass »Menschen nicht sonderlich an Erziehung interessiert sind. Der Krieg wurde also falsch eingestuft. In Wirklichkeit ist er eine Lehrmaschine.« Wenige Minuten später erklärte er: »Der Neger wird durch die Elektrizität mit einbezogen. Der angestammte Bildungsbegriff hat den Neger nie mit einbezogen, weil er ihn abgelehnt und degradiert hat, aber die Elektrizität bezieht ihn mit ein und akzeptiert ihn als vollständiges menschliches Wesen.« 26
Ein böser Affront gegen das Gehirn
Als die Studenten aus Marshalls Vortrag kamen, tanzten Tausende kleiner Fragezeichen über ihren Köpfen. Und die blieben dort den ganzen Herbst über stehen, denn Marshalls Auftreten wurde immer seltsamer, während in seinem Gehirn ein Tumor heranwuchs. Eines Abends hielt er auf einer Museumsgala eine Rede, in der er Feuerwehrwagen für die Entstehung von Ghettos verantwortlich machte. Allen Ernstes! Diese Blackouts kamen erschreckend häufig vor, aber Marshall wollte sich auf keinen Fall auch nur die geringste Schwäche anmerken lassen. Ende 1967 brachen Corinne und die Familie endlich sein Leugnen und drängten ihn, Hilfe zu suchen. Am Morgen des 25. Novembers begab er sich in Behandlung. Der Gehirnchirurg machte sich mit äußerster Vorsicht an die bis dato längste neurologische Operation in der Geschichte der Medizin.
Corinne und die Kinder machten sich auf das Schlimmste gefasst (Lähmung, schwerer Gedächtnisverlust, geistige Behinderung etc.). Als Marshall eine Stunde nach der Operation aufwachteund der Arzt ihn fragte, wie er sich fühle, antwortete er, das käme darauf an, wie man »fühlen« definiere. Er war wieder der Alte – puh! –, wenn auch nicht ganz in alter Form. Teile seines Gedächtnisses waren tatsächlich verloren gegangen, zum Beispiel konnte er sich an Bücher nicht erinnern, die er mehrmals gelesen hatte. Monate lang litt er unter heftigen Schmerzen, und es gelang ihm immer weniger, seinen Kollegen und Studenten gegenüber höflich zu sein. Stattdessen nahm seine Überempfindlichkeit gegenüber Geräuschen noch zu.
Der Konsument ist der Inhalt.
M. M.
Das Problem der neuen Politik ist es, das richtige Image zu finden. Die Jagd nach Images ist das neue Ding, und die Politik selbst spielt keine Rolle mehr, weil die Frage, ob das elektrische Licht von den Republikanern oder von den Demokraten stammt, relativ unwichtig ist, verglichen mit der Bedeutung von Licht und Strom und all den anderen Dienstleistungen, die in unseren Städten selbstverständlich sind. Die Dienstleistungsumgebung hat die politischen Parteien in ihrer Bedeutung abgelöst.
M. M.
Frühwarnung
Marshalls Gehirnoperation im Alter von sechsundfünfzig Jahren war ein extremer Eingriff und signalisierte den Anfang eines Endes: den Höchststand seines Ruhms, seiner Verdienstmöglichkeiten, seiner Vitalität und seiner Fähigkeit, Informationen aufzusaugen und Muster zu erkennen. Nach einer mehrere Monate langen Genesungsphase war er wieder der Alte, aber etwas hatte sich verändert, und nicht bloß in seinem Körper. Der McLuhan-Moment war vorbei, auch wenn es erst Jahre später offensichtlich wurde. Die Gänseblümchen,
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