Martha im Gepaeck
ist, das ist mir mittlerweile klar. Und wenn sie aus Versehen in Glasgow landet, wird sie schon was unternehmen. Nein, es geht darum, dass sie erneut mit irgendeinem fremden Mann mitgegangen ist. Wie bei Dwayne. Nur dass wir diesmal nicht mit dem Fluchtauto zur Stelle sind, wenn sie wieder ein Pokerspielchen gewinnt. Wir wissen ja nicht mal, wo sie sich aufhält.«
»Dann suchen wir sie eben.« Bernd machte Anstalten, die Straße hinunterzulaufen. »Martha!«, rief er. Ein paar Leute drehten sich um. Mark kletterte auf die kleine Mauer und blickte hinunter in das Meer von Köpfen. »Ich sehe sie nicht.«
Karen winkte ab. »So wird das nichts. Ihr bleibt hier stehen, falls sie wider Erwarten doch zurückkommt. Ich gehe sie suchen.«
Ein lauter Knall ertönte. Vorn auf dem Podium war irgendetwas explodiert, das sich jetzt als Blumenregen auf das Publikum ergoss. Die Leute klatschten und pfiffen.
»Der Zauberer kommt!«, rief Teresa. »Ich sehe nichts. Mark, hebst du mich hoch?« Mark reagierte nicht, wie gebannt sah er vor zur Bühne.
Karen schob ihren nutzlosen Sohn verärgert zur Seite und kämpfte sich durch die Menschenmassen. Wieso mussten sie alle hierherkommen und die Straße verstopfen, so dass man nichts mehr sehen konnte? Nur um diesen albernen Zauberer zu sehen? Wahrscheinlich, weil es eine der wenigen kostenlosen Veranstaltungen war. Was ja wiederum auf die Qualität dieses großen Simsalabims schließen ließ. Karen wurde langsam wütend. Nur wegen Martha waren sie hier, und die hielt es nicht mal für nötig, dabei zu sein.
»Martha«, rief sie und drängelte sich an klatschenden Leuten vorbei. »Martha!« Niemand reagierte. Auf der Bühne steigerte sich gerade dramatische Musik zu einem Tusch.
»Oh!«, machte das Publikum.
»Entschuldigung.« Karen wandte sich an einen sonnenverbrannten Mann, der ein wenig abseits stand. »Haben Sie eine alte Dame gesehen? So um die achtzig?«
Der Mann sah sie an, als habe Karen ihn nach dem Weg zum Mond gefragt. »Nee«, sagte er dann bloß.
Karen lief weiter. Einmal glaubte sie, Marthas weiße Locken weiter vorn zu sehen, aber als sie näher kam, entpuppten sich diese als weiße Baskenmütze mit Bommeln, die den Kopf eines Teenagers krönten. Verdammt. In diesem Gewühl würde sie Martha nie finden. Erschöpft blieb sie stehen und schnappte nach Luft. Vorn auf der Bühne konnte sie einen alten Mann mit langem Bart und silbrigem Gewand erkennen. Eine Art Dumbledore für Arme. Karen verfolgte das Brimborium verächtlich. Neben dem Zauberer hüpfte eine langbeinige Assistentin herum und zeigte dramatisch mit dem Arm mal nach links und mal nach rechts. Das Gehüpfe und Getue erregte Karens ausgesprochenen Widerwillen. Schließlich waren die beiden Kasper da der Grund für ihre missliche Lage. Und dann diese blökenden Zuschauer, die wie hypnotisiert nach vorne starrten und nicht mitbekamen, wenn direkt neben ihnen eine alte Dame gekidnappt wurde. Gekidnappt … Da stand ein Polizist in Uniform und neongrüner Weste. Gott sei Dank.
» Hello! « Karen begab sich zu dem schottischen Ordnungshüter, der mit seinem hohen schwarzen Hut wie ein Riese wirkte. » Hello! Können Sie mir helfen? Meine … äh, Großmutter ist verschwunden.«
Der Mann musterte Karen träge. Offenbar hatte er nicht vor, die Zaubershow zu verpassen. »Wer?«, sagte er schließlich.
»Meine Großmutter.« Was hieß Großtante auf Englisch? »Also, eigentlich die Schwester meiner Großmutter. Sie ist weg.«
Der Polizist machte einen Schritt nach vorn. »Yes, Madam?« , fragte er. Anscheinend erwartete er noch weitere Informationen.
»Ich kann sie nicht finden. Sie ist mit einem fremden Mann mitgegangen. Gekidnappt.«
Jetzt hatte Karen die volle Aufmerksamkeit des Mannes. »Wie heißt die Frau? Wie alt ist sie?«
»Martha. Einundachtzig. Glaube ich zumindest.« Karen stockte. Wie alt war Martha genau?
Der Mann sah sie jetzt mit einer Spur von Misstrauen an. »Einundachtzig? Und Sie sagen, man hat die Frau gekidnappt? Wo haben Sie sie denn zuletzt gesehen?«
»Das weiß ich nicht«, antwortete Karen wahrheitsgemäß. »Mein Sohn erzählte mir, ein Mann sei gekommen und habe ›Hello Dixie‹ zu ihr gesagt. Dann sind sie zusammen weggegangen.«
»Dixie? Sie haben doch eben behauptet, die Dame hieße Martha?«
»Ja, sie heißt auch Martha.«
»Martha.« Der Polizist seufzte leise. Die Zaubershow konnte er wohl vergessen, und das gerade jetzt, wo sich da vorn ein wahres Spektakel zu
Weitere Kostenlose Bücher