Martha im Gepaeck
Hintergrund lauerte schon ein Kinderliedermacher darauf, endlich mit seinem Programm anfangen zu können.
»Das ist ein Geheimnis«, erwiderte Martha. »So was plaudert man nicht aus. Das nimmt man mit ins Grab.«
»Ich wette, ich finde es im Internet.« Mark klopfte auf sein Handy. »Hab alles gefilmt. Das war spitze, wie die Säge durch dich durchgeratscht ist, Tante Martha.«
»Nun seid doch mal still«, sagte Karen. »Martha, weißt du eigentlich, dass ich dich die ganze Zeit gesucht habe? Ich dachte, man hätte dich gekidnappt.«
Martha und Lysander brachen in schallendes Gelächter aus. »Gekidnappt!«, rief Lysander. »Das wär’s noch. Na, junge Frau, da müssen Sie sich keine Sorgen machen. Unsere Dixie kann niemand kidnappen. Das schafft keiner.« Er wischte sich eine kleine Lachträne aus den Augen. »Nein, nein, entschuldigen Sie, dass ich Ihnen so einen Schrecken eingejagt habe. Aber als ich Dixie, also ich meine Martha, plötzlich vor der Bühne stehen sah, da konnte ich nicht anders. Ich musste sie einfach noch mal hochholen. Und Sie haben’s ja gesehen, die Leute fanden es klasse.«
»Spitze«, murmelte Karen.
»Es war unglaublich«, sagte Bernd.
»Na, ich bin doch nur wegen dir hierhergekommen«, erklärte Martha. »Ich habe meinen alten Augen kaum getraut, als ich dein Plakat gesehen habe. Dachte, du sitzt schon längst in einem Altersheim und erschreckst die jungen Schwestern mit deinem Nadel-durch-den-Daumen-Trick.«
Mark riss die Augen auf. »Wow. Können wir den mal sehen?«
Lysander streckte sich nach hinten und griff nach einem weißen Tuch. Für einen Mann Mitte siebzig war er unheimlich dehnbar und gelenkig. Wahrscheinlich brachte jahrzehntelanges Hocken, Verbiegen und Verstecken in kleinen Kisten so etwas mit sich. Wie Yoga. Das machte neuerdings Karens andere Kollegin, die nervige Bachmeier. Sie besaß seit ein paar Wochen eine eimergroße Teetasse, aus der sie grünen Tee schlürfte und auf der Namaste stand, und behauptete, dass Yoga ihr Leben verändert habe.
Auf jeden Fall nahm sie es dauernd zum Anlass, irgendwelche Verbiegungen und Verrenkungen vorzuführen, auf die besonders Mike abfuhr, das musste man leider sagen. Lysander musterte Mark einen Moment lang. »Weißt du was, junger Mann«, sagte er dann, »wir machen das anders. Du wirst den Nadel-durch-den-Daumen-Trick vorführen. Was hältst du davon?«
Marks Augen leuchteten auf. »Meint der mich? Echt jetzt? Hat er gesagt, ich kann das machen?«
»Klar«, sagte Martha. »Das hat er gesagt.«
Lysander zwinkerte. »Aber niemandem den Trick verraten, verstanden? Für Dixies Enkel mache ich schon mal eine Ausnahme.«
»Er ist aber nicht …« Karen stockte.
»Ist schon gut«, unterbrach Martha sie leise. Mit einem Mal war sie nur noch eine alte Frau, die ihre geschwollenen Beine hochgelegt hatte und deren Hand leicht zitterte, wenn sie ihr Glas abstellte. »Der Mark ist doch fast so was wie ein Enkel.«
Karen merkte, dass ihr Gesicht ganz warm wurde. Nie hatte sie Mark mitgenommen, wenn sie ihre Pflichtbesuche bei Martha absolviert hatte. Es war ihr einfach nicht in den Sinn gekommen. Und Mark hätte wahrscheinlich lieber einarmig den Garten umgegraben, als in Marthas gehäkeltes Hustensaft-Imperium mitzukommen. Abgesehen davon, wäre Karen nie auf den Gedanken gekommen, dass Martha den Wunsch verspüren könnte, ihren maulfaulen Sohn zu treffen. Jetzt war sie sich da plötzlich nicht mehr so sicher. Bernd schien Ähnliches zu denken. Er verzog verlegen seinen Mund und bückte sich nach etwas Unsichtbarem. Dass Mark auf dieser Reise aufblühte, war nicht zu leugnen. Wenn jemand Karen vor einigen Wochen prophezeit hätte, dass ausgerechnet das älteste Familienmitglied den frischesten Wind in ihren Urlaub bringen würde, hätte sie es nicht für möglich gehalten.
»Mama?«, meldete sich da glücklicherweise Teresa. »Was macht der Zauberer mit Mark? Will er ihn auch zersägen?«
»Nein, er zeigt ihm nur einen Zaubertrick«, beruhigte Karen sie. Falsche Antwort.
»Ich will auch einen Zaubertrick lernen«, sagte Teresa sofort.
»Aber, Schatz, du verstehst doch den Herrn Lysander gar nicht. Das ist noch viel zu schwer für dich.«
»Aber das ist gemein. Mark darf zaubern, und ich nicht.«
»Weißt du was?« Bernd stand auf. »Ich komme mit. Dann können wir beide einen Trick lernen, in Ordnung?«
»Aber nicht bei mir gucken«, sagte Mark. »Sonst ist es ja sinnlos. Ihr sollt doch vor Angst schreien, wie bei
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