Martha im Gepaeck
entwickeln schien. Immer wieder johlte die Menge auf und klatschte. »Hat sie irgendwelche Krankheiten?«
Karen dachte kurz an Marthas seltsame Ohnmacht vor ein paar Tagen. Ein Fake . Sie schüttelte den Kopf.
»Okay, was hat sie an?« Der Polizist hob sein Walkie-Talkie zum Mund.
Was Martha anhatte? Karen zögerte. Vor lauter Aufregung wegen ihres eigenen wunderbaren Kleides hatte sie überhaupt nicht darauf geachtet, was Martha trug. War es wieder der Schottenrock? Karen rieb sich gestresst die Augen. »Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Ich habe keine Ahnung, was sie anhat. Wahrscheinlich einen Schottenrock. Vom Clan der MacGregors. Zu denen gehört sie irgendwie. Glaube ich.« Was redete sie da nur? Karen lachte ein verzweifeltes Lachen. Sie musste sich unbedingt irgendwo in den Schatten setzen.
»Madam, haben Sie Alkohol konsumiert?«, fragte der Polizist. Es klang nicht mal streng, eher fürsorglich. Er musterte nachdenklich ihr schwarzes Spitzenkleid. Glaubte er, dass Karen gerade aus einem Nachtklub kam? Eine Sekunde lang erwog sie, sich von dem ordentlichen Polizisten in ein schönes kühles Polizeiauto schaffen zu lassen, um irgendwohin gefahren zu werden, während andere Leute sich um ihre Familienangelegenheiten kümmerten. Dann fiel ihr das übermalte Nummernschild ein, das Geld von Dwayne. Sie musste sich zusammenreißen. »Nein, ich habe nichts getrunken. Mein Mann wird Ihnen sagen können, was Tante Martha anhatte«, erwiderte sie betont höflich. »Er achtet neuerdings auf so was.« Wieder rutschte ihr ein kurzes hysterisches Lachen heraus.
Der Polizist warf ihr einen seltsamen Blick zu, nickte aber dann und folgte ihr. Dabei sprach er etwas in sein Walkie-Talkie.
»Er wird sie gleich zersägen«, sagte ein Mädchen zu seiner Freundin, als Karen an ihnen vorbeilief. »Das ist die zersägte Jungfrau.«
Karen hielt erschrocken an. Ach so, die beiden meinten den großen Lysander.
»Jungfrau ist gut«, antwortete die andere. Beide lachten.
»Bernd«, rief Karen, als ihre Familie in Sicht kam. »Was hatte Martha an? Der Herr hier möchte das wissen, damit seine Kollegen sie suchen können.« Bernd reagierte nicht. Er stand mit offenem Mund da und sah nach vorn zur Bühne. Neben ihm stand Mark auf der Mauer mit Teresa auf den Schultern. In ihrem Gesicht war ein Ausdruck von Horror zu erkennen.
»Was macht der da, Papa? Tut das weh?«
»Bernd?« Karen ergriff seinen Arm. Was war denn nur los mit ihm? »Was hatte Martha an? Das müssen wir wissen, damit wir sie finden können.«
»Da«, machte Bernd. Er zeigte zur Bühne. »Da ist sie.«
Das Rauschen in Karens Kopf wurde zum Orkan. Wie in Zeitlupe sah sie vor zur Bühne des unseligen Salamanders oder wie immer sein Name war, hörte die mystische Musik – irgendwelche Schamanengesänge, die aus den Lautsprechern schallten, um die Stimmung anzuheizen – und erblickte den seltsamen hohen Tisch, auf dem eine kleine Figur in einem wallenden Gewand festgeschnallt war. Über ihrem Bauch pendelte eine Kreissäge.
Martha! Das war Martha da vorn auf dem Opfertisch.
Die Welt schien stillzustehen. Mit einem lauten Kreischen startete die Säge und näherte sich zentimeterweise Marthas Körper. »Mama«, rief Teresa von irgendwoher. Die Säge erreichte Marthas Körper und glitt durch ihr Bauchgewebe hindurch wie durch Butter. Danach fuhr sie wieder hoch. Waren da rote Schlieren am Sägeblatt? Karen fühlte eine leichte Übelkeit in sich aufsteigen, obwohl sie doch wusste, dass das nur Jux und Tollerei war. Illusionen. Taschenspielertricks. In diesem Moment reichte der große Lysander Martha seine Hand und zog sie vom Tisch hoch, als wäre nichts gewesen. Als hätte sie sich nur mal kurz auf dem Sofa ausgeruht. Martha schwenkte ihren freien Arm nach rechts und nach links, wie die Langbeinige zuvor. Ein ohrenbetäubender Lärm setzte ein. Das Publikum pfiff, grölte und klatschte.
»Unsere Tante«, schrie Bernd dem Polizisten begeistert ins Ohr. »Das ist unsere Tante da vorn!«
Die Augen des schottischen Polizisten schienen fast aus den Höhlen zu treten. Er klappte den Mund auf und wieder zu und sah Karen fragend an. » Das ist Ihre Tante?«
Karen reagierte nicht.
»Madam, ist das die Frau, die Sie suchen?«
17 Der große Lysander entpuppte sich aus der Nähe betrachtet als kleiner muskulöser Mann in Marthas Alter. Wie hundert sah er jedenfalls nicht mehr aus. Bart, Langhaarperücke und Silbermantel waren verschwunden, stattdessen waren ein
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