Martha's Kinder
auf diesem Platze allmorgendlich Gemüse verkaufen. Auf der andern Seite des Platzes, dem Kriegsgebäude gegenüber, steht das Palais der Nunziatur – auch so ein ragender Fels, an dem so manche Wellchen zerschellen ... Es war ein lärmendes Gewimmel, vor allen Ständen die feilschenden Köchinnen mit ihren Einkaufskörben, auf dem Straßenpflaster das Gerassel der Fiaker, Einspänner, Omnibusse, Frachtwagen und auch – von allen Gefährten das jammervollste – ein Kälberwagen; hin- und hereilende geschäftige Leute, die mit ihren Regenschirmen aneinander stießen – das Ganze ging Rudolf furchtbar an die ohnehin gespannten Nerven. Es überkam ihn jenes müde und traurige Gefühl, das sich in dem Stoßseufzer Luft machte: Ach, tot sein! ... Und da fielen ihm seine Toten ein. Die liebliche Beatrix, mitten aus der Jugendfülle und von des Lebens Höhen in die finstere Gruft geschleudert – und sein armer kleiner Fritz! Was gäbe er darum, wenn er die beiden noch besäße ... unvergossene Tränen schnürten ihm die Kehle zu.
Als er aber wieder in seine Wohnung gekommen und an den Schreibtisch trat, auf dem die unterdessen eingelaufenen Briefe und Blätter und seine angefangenen Arbeiten lagen, da ward diese Anwandlung mutlosen Trübsinns bald verscheucht. Die Sorgen, die sein eigenes Los betrafen, mußten verschwinden angesichts der großen Sache, der sein Leben nun ganz geweiht war. Die Briefe, die mit der letzten Post gekommen waren, trugen viel dazu bei, die niedergeschlagenen Gefühle zu bannen, die ihn beim Verlassen des Kriegsministeriums übermannt hatten. Dort war er in der so starr und unumstößlich scheinenden alten Welt gewesen, wo alles wie in enge Eisenreifen eingeklemmt ist; und die Briefe hier brachten Kunde der verheißungsreichen, sich dehnenden, werdenden Welt. Signale von Mitkämpfenden, Mithoffenden, Mitwissenden. Es war ihm, als riefen alle diese ihm zu: Nur Mut, nur Ausdauer – wir sehen schon die gelobte Stadt, wir rütteln an ihren Toren – hilf mit!
XXII.
Am nächsten Tag – wie es ihm gestattet worden – und an den folgenden kam Bresser wieder.
Fast niemals traf er Sylvia allein; aber wenn auch ein Dutzend Menschen trennend zwischen ihnen war, die beiden Liebenden wußten sich zu finden, durch beziehungsvolle Worte, durch stumme Blicke oder auch durch den Kontakt gleichgestimmter Gedanken und gleichschwingender Wünsche. Im Tete-a-tete waren sie einander eher ferner, denn da überkam sie beide eine eigene Schüchternheit und Angst. Und diese Angst zu vertreiben, sprachen sie mit erzwungener Kälte von gleichgültigen Dingen – so wie gespensterfürchtende Kinder im Finstern laut zu singen beginnen.
Hugo wußte sich geliebt. Dieses Bewußtsein erfüllte ihn mit so überwältigendem Glück, daß er nicht wagen wollte, die angebetete Frau durch ungestümes Werben zu erschrecken. Die Leidenschaft für Sylvia füllte ihm auch nicht – eben jetzt – die ganze Seele aus. Die Proben seines Stückes nahmen ihren Fortgang; dadurch war er in fieberhafte Aufregung versetzt. Vom Schicksal gerade dieser Dichtung, in die er sein Bestes gelegt, hing so furchtbar viel für ihn ab. Neben der Frage des Erfolges oder Mißerfolges an einer so entscheidenden Stätte, wie das Wiener Burgtheater, stand noch mehr auf dem Spiele: sein ganzes Selbstvertrauen; denn würde diese Arbeit durchfallen, so mußte er an seinem Talent verzweifeln; und umgekehrt, gefiel sie, so wäre ihm in seiner Kunst der weitere Siegesaufstieg sicher. And die aufregendste Alternative von allen: vor ihr, vor Sylvia, als gefeierter Dichter oder als durchgefallener Autor dazustehen – sie zu glühender Bewunderung hinzureißen oder zu mitleidiger Enttäuschung stimmen... Er wohnte sämtlichen Proben bei und übte strengste Selbstkritik. Vieles erschien ihm matt und farblos und im Lauf der Proben nahm er verschiedene Striche und Änderungen vor. Bei Tag und Nacht feilte er noch in Gedanken an dem Werk.
Sylvia indessen, die keine solche Ablenkung hatte, war mit ihrer Seele im Banne ihrer neuen, täglich wachsenden Leidenschaft. Sie wehrte sich umso weniger gegen deren berauschende Macht, als Hugos ehrfurchtsvolle Zurückhaltung sie in Sicherheit wiegte. »In Reinheit durchs Leben gehen« – diesem Vorsatz durfte sie nicht untreu werden, aber da war keine Gefahr; ihr Dichter selber, das war ja ersichtlich, mischte kein profanes Begehren in seine Herzenshuldigung – auch er liebte »in Reinheit«.
»Sylvia, ich möchte ein
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