Martha's Kinder
hatten Sie mir nichts geschrieben!«
»Ich wollte es nicht früher sagen, als bis die Annahme sicher war.«
»Und welches Ihrer Stücke?«
»Mein letztes, noch nirgends aufgeführtes – von dem Sie den ersten Akt uns vorgelesen haben –«
»Ah – »Der tote Stern« –? Den haben Sie zu Ende geführt – und mir in Ihren Briefen kein Wort? ...«
»Meine Ambition war, daß Sie die folgenden Akte nicht im Manuskript, sondern von der Bühne aus beurteilen sollen.«
»Ich werde furchtbar zittern bei der Premiere.«
»Zittern? Für mich?«
»Für Sie, für das Stück, für mich – ich könnte es nicht vertragen, wenn das Publikum keinen Beifall zeigte –« »Wenn das Stück durchfiele, meinen Sie? ... Wer weiß, ob es vor Ihnen Gnade findet? Vielleicht müßte Ihnen dessen Fiasko gerechtfertigt erscheinen.«
»Werde ich denn überhaupt urteilen können, wenn ich zittere? Nur wenn Sie mir das Ganze zu lesen gäben, könnte ich mir klar werden, ob ich's schön finde oder nicht. Erzählen Sie mir doch wenigstens, wie Sie die Handlung weitergeführt haben –«
»Nichts erzähle ich, Gräfin Sylvia. Ich habe mich zu lange darauf gefreut, Ihnen meine Dichtung in fertiger Gestalt und lebendig und neu vor die Augen zu führen. Ihnen ganz allein wird es vorgespielt werden – das übrige Publikum wird für mich gar nicht anwesend sein.«
Sie sprachen dann von dem großen Ereignis in Sylvias Familie, Rudolfs Verzicht auf das Majorat. Es tat Sylvia wohl, zu hören, wie groß Hugo die Sache auffaßte, mit welchem weiten Blick er die von ihrem Bruder gewählten Wege und Ziele umspann.
»Mich nennen Sie Dichter, Gräfin?« sagte er. »Nun ja, mit geschriebenen Bildern und Worten dichte ich, aber Rudolf tut es mit Handlungen, mit kühnen begeisterungsglühenden Taten ... was er unternommen hat, kann zum hinreißendsten Poem werden.«
So sprachen sie lange über allerlei Dinge. Aber etwas Unausgesprochenes lag zwischen ihnen; etwas, woran beide dachten, und wovon jedes wußte, daß es in den Gedanken des anderen obenauf war. Es zitterte in ihren Stimmen, es blitzte in ihren Augen auf, es tönte in ihrem Schweigen nach, wenn manchmal die Unterhaltung stockte.
In einer solchen Pause geschah es, daß ihre Blicke sich begegneten und wie liebkosend aneinander hängen blieben. Er war glücklich, sie so schön zu sehen – und auch sie empfand es wie eine Freude, daß seine Erscheinung so harmonisch zu seiner Künstlerseele paßte: edle Züge, leuchtendes Auge und dabei in Art und Ton, in Kleidung und Bewegung tadelloser Weltmann. Diesen Menschen zu lieben, war man wahrlich entschuldbar ...sie war stolz auf ihn –und fast so stolz auf sich, dass ihr Herz sich einem so Würdigen geschenkt.
Nach einer kleinen Stunde, die ihnen verflogen war, wie fünf Minuten, mußte er gehen – der Direktor erwartete ihn.
»Wann darf ich wiederkommen?«
»Morgen um dieselbe Stunde.«
Der Abschiedsgruß war ein langer, fester. Stumm sagten sie einander durch ihre warmen, bebenden Hände:
Herrliche, auf Wiedersehen! – Auf Wiedersehen, Lieber !
XXI.
Rudolfs Schrift war erschienen; – eine Anklageschrift; der Titel lautete »das Verbrechen der Kulturmenschheit«. Zugleich gab er eine zweite – eine Verheißungsschrift heraus: »Das Glücksfüllhorn der menschlichen Kultur«.
In der ersten war die ganze Schale seines Zornes auf die Heuchelei, den Blödsinn und die Grausamkeiten ausgegossen, die den herrschenden, sogenannten Kulturzuständen zugrunde liegen. In der zweiten ließ er seiner Begeisterung und seiner Einbildungskraft freien Lauf, um zu schildern, wie das Erdenleben sich gestalten müßte, wenn neben den märchenhaften Errungenschaften der technischen Kultur auch die ethische zur Geltung käme, das heißt: wenn Wahrhaftigkeit, Vernunft und Güte alle gesellschaftlichen Verhältnisse regelten. Absichtlich hatte er diese beiden Aspekte wie er die Welt sah – und wie er sie sehen wollte, nicht in eine Arbeit verschmolzen, sondern getrennt, um Zorn und Verheißung mit gleichem Feuer vortragen zu können – nicht das eine durch das andere gedämpft.
Das nächste Ergebnis dieser Veröffentlichung war –, daß die Broschüren so gut wie gar nicht gelesen wurden. Sowohl die Anklage blieb ungehört, als auch die frohe Botschaft. Zwar brachten einige Blätter Notizen; aus Bekanntenkreisen erhielt er einige anerkennende – auch zwei oder drei tadelnde, von anonymen Schreibern sogar einige grobe Briefe – aber eine Revolution
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