Martin, Kat - Perlen Serie
Korridore des Untergeschosses. Die Sorge, dass sie ihren Stiefvater getötet haben könnte, ließ sie nicht zur Ruhe kommen.
Denn wenn er tot wäre, würde sicher nach seinem Mörder gesucht werden, und vielleicht war man ihr sogar schon auf der Spur! Noch gab es in den Zeitungen allerdings keine Such- meldung. Sicher konnte sie sich dessen aber nicht sein, da sie seit ihrer Ankunft in London kaum Zeit gefunden hatte, diese regelmäßig zu überprüfen.
Vielleicht könnte ein Buch ihr beim Einschlafen helfen? Hof- fentlich hatte der Earl nichts dagegen einzuwenden, wenn sie sich eines borgte. Leise stieg sie die Treppen hinauf. Auf dem Weg zur Bibliothek sah sie im Arbeitszimmer ihres Dienst- herrn noch eine Lampe auf dem Schreibtisch brennen. Sie be- trat das Zimmer, um sie auszublasen, und ihr Blick fiel auf das Schachbrett in der Ecke.
Schon früher war es ihr aufgefallen, und sie hatte die kunst- fertige Einlegearbeit sowie die wunderschön gearbeiteten Fi- guren bewundert. Sie fragte sich nun, gegen wen der Earl wohl spielen mochte.
Tory trat näher an das Brett heran. Ihr Vater hatte sie Schach gelehrt, und sie war eine gute Spielerin. Sie konnte der Versu- chung nicht widerstehen, auf einem der beiden Stühle Platz zu nehmen und sich in die begonnene Partie zu vertiefen.
Bei genauerer Betrachtung fiel ihr auf, dass sich bereits eine dünne Staubschicht auf das Brett gelegt hatte. Das Spiel schien also schon vor längerer Zeit unterbrochen worden zu sein.
Tory überlegte, welchen Zug sie als Nächstes machen würde. Da sie vermutete, dass die dunklen Ebenholzfiguren die des Earls waren, streckte sie ihre Hand nach einem kunstvoll aus Elfenbein geschnitzten Pferdekopf aus und zog zwei Felder vor und eines zur Seite. Ihr Springer war nun so platziert, dass er den schwarzen Läufer gegenüber bedrohte.
Sie wusste, dass sie die Figur besser zurücksetzen sollte. Ihr Dienstherr würde sicher verärgert sein, wenn er herausfand, welche Freiheit sie sich herausgenommen hatte, aber eine Mi- schung aus Trotz und Verwegenheit hielt sie davon ab.
Erleichtert bemerkte sie, wie sie endlich müde wurde, dreh-
te die Öllampe auf dem Schreibtisch aus und ging zurück in ihr Zimmer.
Das goldene Familienwappen funkelte im Schein der Lampen, als Cord lange nach Mitternacht mit seiner Kutsche wieder zu Hause vorfuhr. Sein Gespräch mit Edward Legg war sehr un- ergiebig gewesen, denn außer Lobgesängen auf die Tapferkeit und den Edelmut von Captain Sharpe während der Schlacht und der wiederholten Bekundung, wie sehr er ihn bewundere, hatte der Matrose nichts zu erzählen gehabt. Cords Laune hat- te sich von Minute zu Minute verschlechtert und nun ihren Tiefpunkt erreicht.
Da sein Verlangen nach Claire Temple sich gelegt hatte, er aber nicht beabsichtigte, sich erneut in die Fänge seiner ehe- maligen Geliebten zu begeben, hatte er sich entschlossen, Ma- dame Fontaneaus exklusivem Freudenhaus einen Besuch ab- zustatten.
Cord wusste nicht mehr, was ihn von seinem Vorhaben abge- bracht hatte. Stattdessen hatte er seinem Kutscher Anweisung gegeben, ihn zu White's, seinem Club, zu fahren. Dort hatte er dann bis in die Nacht in einem der bequemen Ledersessel zu- gebracht, getrunken, seinen Gedanken nachgehangen, Whist gespielt und dabei einiges an Geld verloren.
Sein bester Freund Rafael Saunders, Duke of Sheffield, hat- te den ganzen Abend versucht, ihn aufzuheitern, war aber kläglich gescheitert.
Als Cord nun sein Stadthaus betrat, legte er Hut und Hand- schuhe ab und blickte unentschlossen die Treppe hinauf. Ei- gentlich sollte er versuchen, noch ein paar Stunden zu schla- fen, da er am Vormittag einen wichtigen Termin bei seinem Anwalt hatte.
Doch aus einem inneren Bedürfnis heraus ging er nun in Richtung seines Arbeitszimmers. Trotz seiner Versuche, sich abzulenken, waren seine Gedanken den ganzen Abend um sei- ne Arbeit, um Ethan und überraschenderweise auch um seine beiden neuen Hausangestellten gekreist.
Letzteres verwunderte ihn sehr, denn nachdem sein Interes- se an der überirdisch schönen Claire sich zu verflüchtigen be- gann, faszinierte ihn ihre ältere Schwester, die immer etwas anmaßende Victoria, umso mehr.
Das war einfach lächerlich! Doch seit er Claire dabei beo- bachtet hatte, wie sie einer Märchenprinzessin gleich bei ihrer
Arbeit durch sein Zimmer geschwebt war, wurde er die Vor- stellung nicht los, dass es unehrenhaft wäre, sie zu verführen. Cord war ein sehr erfahrener Mann, während
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