Martin, Kat - Perlen Serie
nur da- für sorgen, dass bis zur Rückkehr meines Cousins niemand die Figuren berührt."
„Ihres Cousins?"
„Ja, Captain Ethan Sharpe. Er und die gesamte Mannschaft seines Schiffes sind verschollen."
Sie schwieg einige Momente. „Das tut mir sehr Leid. Seinet- wegen sind Sie sicher sehr beunruhigt."
Vielleicht war es die Art, wie sie es sagte, oder vielleicht auch, wie sie ihn dabei ansah, doch auf einmal war seine Wut verflogen.
„Ich weiß Ihr Verständnis zu schätzen. Ich mache mir tat- sächlich große Sorgen um meinen Cousin, und deshalb wäre es gut, wenn Sie die betreffende Person bitten würden, das Schachspiel nicht noch einmal anzurühren."
Im schwachen Schein des Mondlichtes sah sie, wie müde er wirkte. „Vielleicht wäre es gut, die Partie zu Ende zu spielen, Mylord. Erinnerungen sind manchmal eher schädlich denn von Nutzen. Wenn Captain Sharpe zurückkommt, können Sie beide eine neue Partie beginnen."
Genau diesen Gedanken hatte er auch schon gehabt. Das Schachbrett war wie ein drohendes Mahnmal, das ihn keinen einzigen Tag vergessen ließ, dass Ethan verschollen war. Oder dass er vielleicht nicht mehr am Leben war. „Tun Sie einfach, was ich gesagt habe, Mrs. Temple."
Cord ließ ein letztes Mal seinen Blick auf ihr ruhen. Wie un- glaublich begehrenswert sie aussah ... Im Mondlicht schienen ihre Augen wie unergründliche Seen, ihre Lippen wirkten leicht geschwollen. Er war versucht, ihr die Decke wegzuzie- hen und das Nachthemd abzustreifen, um ihren ganzen Körper betrachten zu können, der sich so verführerisch unter dem dünnen Stoff abzeichnete. Er wollte ihren Zopf lösen und mit seinen Fingern durch ihr langes, dunkles Haar fahren ... Erregung ergriff so heftig von ihm Besitz, dass Cord sich ab- rupt abwandte. Während er das Zimmer verließ, fragte er sich kopfschüttelnd, was zum Teufel nur mit ihm los war. Er hatte nie zu der Sorte Männer gehört, die eine Schwäche für das Per- sonal hatten - und nun verdrehten ihm gleich zwei seiner
Hausangestellten den Kopf!
Nein, das stimmte nicht. Eine von beiden hatte lediglich sei- nen Schönheitssinn angesprochen, so wie er auch eine kunst- volle Vase oder ein gutes Gemälde zu schätzen wusste. An der anderen faszinierte ihn, wie vorlaut und zugleich verständnis- voll und beschützend sie sein konnte. Und nun reizte sie auch seine eher niederen Instinkte.
Er hätte Madame Fontaneaus Freudenhaus vielleicht doch einen Besuch abstatten sollen, sagte er sich und stieg die Trep- pe hinauf. Allerdings befriedigten ihn solche flüchtigen Be- gegnungen im Grunde nicht, und während er in Richtung sei- nes Schlafzimmers ging, dachte er wieder an Victoria Temple. Seit er sich von Olivia Landers getrennt hatte, suchte er nach einer neuen Geliebten. Nun, da sein Verlangen sich nicht mehr auf Claire richtete, begann er zu überlegen, ob er seine Auf- merksamkeit nicht einfach nur der falschen Frau gewidmet hatte. Anders als Claire, war Victoria mutig und unerschro- cken. Hinter ihrem korrekten Verhalten glaubte er eine Lei- denschaft zu spüren, die er gerne zum Vorschein bringen wür- de.
Natürlich würde er dafür Sorge tragen, dass es ihr gut ging. Er würde sie in großer Manier ausstatten, und es würde ihr an nichts fehlen. Sie könnte sich um Claire kümmern und sie in Sicherheit wissen. Er fand, dass er damit eigentlich ihnen al- len einen Gefallen tat.
Zudem wäre Victoria eine größere Herausforderung als ihre unbedarfte Schwester. Nach dem aufgebrachten Ausdruck ih- rer Augen zu urteilen, mit dem sie ihn bedacht hatte, sobald er vorhin in ihr Zimmer gestürmt war, würde sie es ihm nicht leicht machen. Aber Cord liebte Herausforderungen, und am Ende würde Victoria Temple ihm nachgeben, dessen war er sich gewiss.
Am nächsten Morgen stürzte Tory sich in die Arbeit. Sie mach- te eine Bestandsliste für den Weinkeller, nahm Lieferungen vom Fleischer und Milchmann entgegen und versuchte die ganze Zeit, nicht an den nächtlichen Besuch des Earls zu den- ken.
Bei dem bloßen Gedanken daran begann ihr das Herz schneller zu schlagen. Sie konnte noch immer nicht glauben, dass eine umgestellte Schachfigur ihn in eine derartige Wut versetzt hatte.
Wahrscheinlich rührte sein Gefühlsausbruch eher von den Sorgen, die er sich um seinen Cousin machte. Tory wusste, wie sehr man einen geliebten Menschen vermissen konnte, hatte sie doch selbst ihren Vater und kurz darauf auch ihre Mutter verloren. Sie kannte den Schmerz, den ein solcher
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