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Marx, my Love

Marx, my Love

Titel: Marx, my Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Grän
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Englisch, Russisch und Polnisch, die Sprache ihrer Mutter.«
    »Interessant«, sagt Anna und lächelt Marilyn an. Sie ist noch blonder als Joy, falls dies überhaupt möglich ist. Und sie versucht mit beachtlichem Erfolg, der großen Monroe zu gleichen. »Ich glaube nicht, dass ich… Fjodor, für Aussteigerinnen gibt es Organisationen… ich kann zu Hause nachsehen und dir Adressen geben…«
    »Leg dich bloß nicht mit der Mafia an«, sagt Sibylle eine Spur zu laut. Sie hat jedes Wort mitgehört, Fjodor kann gar nicht richtig flüstern.
    Fjodor seufzt. »Nein, doch nicht solche Winzigkeiten. Das Problem ist mörderisch.«
    Anna zählt eins und eins zusammen, so viel kann sie noch bei aller Aversion gegen Zahlen. »Sie waren in diesem Restaurant, als Rosi Stark erschlagen wurde, stimmt’s?«
    Noch ein Seufzer. »Ja, aber sprich doch von Auge zu Auge mit Marilyn. Ich begleite einstweilen die beiden Damen zum gedeckten Tisch. Soll ich dir etwas mitbringen?«
    »Eine Bulette«, sagt Anna, »mit viel Senf.« Sie nimmt Marilyns Arm und geht mit ihr zum Fenster, das geöffnet wurde, um die Rauchschwaden zu vertreiben. Viele der erfolglosen polnischen Frauen ziehen an einer Zigarette, und in der anderen Hand halten sie das Vodkaglas. Heute stricken sie nicht und trinken keinen Tee, sondern geben sich dem Laster hin.
    »Kann ich eine haben?«, fragt Marilyn, und Anna hält ihr die Packung hin.
    Ihre Fingernägel sind so lang, dass sie sich nach innen biegen, und sie sind makellos manikürt. Mit solchen Fingern kann man nicht wirklich arbeiten, denkt Anna, sie allenfalls in einen Männerrücken krallen und so tun, als ob man einen Orgasmus hätte. Schon möglich, dass Schönheit, unbegleitet von Talent, ein Fluch ist. Aber sie blendet nichtsdestotrotz.
    Marilyn lehnt am Fensterbrett und schlägt ihre Beine übereinander. Sie sind lang und schmal und enden in den spitzesten Schuhen, die Anna je gesehen hat. Das Mädchen hat doch ein Talent: Sie kann sich darin fortbewegen.
    Und sie kann sprechen, der Akzent ist auch noch hübsch anzuhören: »Onkel Wanja will, dass wir sofort abreisen, zurück nach Krakau. Aber wir wollen nicht nach Polen, Joy und ich. Wir möchten in Berlin bleiben. Die Stadt ist so toll. Es war ein blödes Essen, sowieso.«
    »Warum? Was ist passiert?« Bevor Anna ihr rät, genau das zu tun, was Onkel Wanja gesagt hat, muss sie unbedingt mehr erfahren.
    Marilyn zieht einen hinreißenden Schmollmund. »Wir sind abgehauen. Wir haben damit nichts zu tun, ganz ehrlich.«
    »Ich weiß«, sagt Anna, obwohl sie gar nichts weiß. »Wer hat euch engagiert?«
    »Na, der Restaurantmanager. Jacob kennt uns, er hat dem gesagt, er soll Joy und Marilyn besorgen.«
    Das Fleisch, von dem er sprach: »Jacob Lenz. Und was kostet so eine Besorgung?«
    Marilyn lächelt wie eine aufgehende Sonne: »Normalerweise zweihundert die Stunde. Oder tausend für den halben Tag, jede natürlich.«
    Natürlich. Und Onkel Wanja, der nicht wirklich so heißen wird, kassiert vermutlich den Löwenanteil. »Wart ihr für jemand Bestimmten engagiert?«
    »Nein, einfach so – für die Männer. Damit die Geschäfte netter werden, sagte die Violettblonde. Ist wirklich schade um sie. Sie war eine gute Kundin, immer großzügig, wenn die Geschäfte gut liefen.«
    Fjodor steht mit Joy und Sibylle am Buffet und häuft Kuchen auf seinen Teller. Alle im Raum bedienen sich, als ob sie seit Tagen nichts gegessen hätten. Annas Magen knurrt. Er kann sehr fordernd sein, und sie ist ihm gegenüber zu nachsichtig. Marilyn kann vermutlich eine Schweineherde verzehren, ohne zuzunehmen. Das Leben ist nicht fair. Oder doch? Möchte sie wirklich in dieser makellosen Haut stecken?
    »Wollen Sie auch Schauspielerin werden – wie die Monroe?«
    Das Geschöpf wirft den Kopf zurück und beginnt zu lachen. Perlend, denkt Anna, und dass wenigstens die Stimme hässlich sein könnte.
    »Das fragen mich alle, nur weil ich so aussehe. Aber ich habe überhaupt kein Talent, und ich will nicht verheizt werden und auch nicht so früh sterben. Man muss das tun, was man gut kann, dann stehen die Chancen für ein langes, glückliches Leben am besten. Ich werde also mein Geld optimal investieren, einen seriösen Mann heiraten und Kinder bekommen. Später, wenn die ersten Falten auftauchen… und bis dahin spiele ich den Männern vor, dass sie mich wahnsinnig erregen. Aber das kann schließlich jede Frau, dazu muss man nicht Marilyn Monroe sein.«
    Aber so aussehen, denkt Anna,

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