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Marx, my Love

Marx, my Love

Titel: Marx, my Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Grän
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revidiert allfällige Vorurteile gegenüber Blondinen und kommt wieder auf ihr Anliegen zurück. »Um welche Geschäfte ging es bei dem Mittagessen?«
    »Um einen Kinofilm, den Frau Stark plante. Sie wollte Geld von dem mit dem Schnurrbart. Er sagte, dann muss sie in seinem Bundesland drehen oder so. Ich hab nicht so genau zugehört. Sein Schnurrbart kitzelte. Und er fuhr mir immer mit der Hand in den Rückenausschnitt. Als er mir den Eiswürfel reinsteckte, war das nicht so lustig. Aber da war er schon ziemlich betrunken. Alle haben viel getrunken – außer Joy und mir. Wir waren ja bei der Arbeit.«
    Fjodor nähert sich mit einem Teller, und Anna winkt ihm, sich noch fern zu halten. »Und Joy? War die für den Schauspieler bestimmt?«
    »Das war nicht so klar. Benno oder Jacob, vielleicht beide? Wir machen viel, aber keine Peitschen oder Tiere. Das ist was für den Schrott.«
    Auf Annas fragenden Blick erklärt die Monroe-Kopie, dass die hässlicheren Mädchen für alle sexuellen Präferenzen eingesetzt werden. Polinnen, Russinnen, Ukrainerinnen: Onkel Wanja hat zwölf unter Vertrag, obwohl es natürlich nichts Schriftliches gibt, sondern die mündliche Vereinbarung, dass er die Pässe und Sparkonten verwaltet. Über das Taschengeld hinaus legt er die Honorare in festverzinslichen Wertpapieren an, abzüglich der siebzig Prozent, die Onkel Wanja kassiert. Wer meint, genug verdient zu haben, kann jederzeit aussteigen.
    »Aber die meisten tun es nicht«, sagt Marilyn. »Man will immer mehr haben, so ist der Kapitalismus. Er ist ansteckend wie eine Krankheit, doch man möchte gar nicht gesund werden. Ich will in Warschau eine Beauty-Farm eröffnen, das ist sehr teuer. Also muss ich noch eine Weile in Berlin bleiben. Ich will jetzt nicht zurück.«
    Sie stampft mit dem Fuß auf, und Anna fürchtet um den Schuh. Marilyn macht nicht den Eindruck einer verhuschten, gequälten Kreatur. Die Fassade ist selbstbewusst und geschäftstüchtig. Sie wäre überwältigend, wenn sie nicht so bemalt wäre. Und der Rock, der knapp über den Schamhaaren beginnt oder aufhört, ist ein gewagtes Stück. Im Bauchnabel steckt ein Diamant oder auch nur ein glitzernder Stein. Ein flacher, glatter, gebräunter Bauch, auf den Anna nicht neidlos starrt.
    »Sonnenstudio«, sagt Marilyn, und Anna muss jetzt erwähnen, dass künstliche Bestrahlung sehr schädlich für die Haut sei.
    »Bei mir macht es noch nichts, und bei Ihnen nichts mehr«, erwidert die Blonde und lächelt dabei, als habe sie etwas Nettes gesagt. Sie ist nicht bösartig, denkt Anna, nur entsetzlich ehrlich. Eine gefährliche Eigenschaft in einer Welt, die nichts so sehr wie Lügen braucht.
    Fjodor stellt den Teller mit zwei Buletten auf die Fensterbank und verschwindet wieder. Sibylle winkt Anna zu. Sie isst Kuchen, das tut sie sonst nie. »Möchten Sie nichts?«, fragt Anna, während sie das Fleisch mit Senf beschmiert.
    »Nein, danke. Ich mag nur Sushi und gegrillten Fisch.« Marilyn betrachtet ihren Körper bewundernd in der Fensterscheibe.
    Sie ist grausam und merkt es nicht einmal, denkt Anna. Das arme polnische Mädchen mit festverzinslichen Wertpapieren entspricht so gar nicht ihrem Denkmodell der ausgebeuteten Hure mit dem goldenen Herzen. Der »Schrott«, von dem Marilyn sprach, ist sicher näher an Annas Vorstellungen vom globalen Fleischhandel.
    »Das Essen im Eat the Rich ist sehr gut. Aber sie haben so viel geredet, es war langweilig. Die Stark ist oft zur Toilette gegangen, um sich zu pudern. Benno sagt, das ist ein österreichisches Wort für ficken. Stimmt das?«
    »Weiß nicht. Als sie zum letzten Mal ging, waren da alle am Tisch? Wo waren der Manager und die Kellnerin?«
    »Die waren in der Küche, glaube ich. Sie wollten, dass wir endlich gehen, aber das haben sie nicht zu sagen gewagt. Jacob war kurz weg, er wollte Zigaretten aus dem Automaten holen. Der ist im Flur. Und ich glaube, Benno ging in die Küche, um einen Espresso zu bestellen. Ich weiß es nicht mehr genau, ich hab ja nicht aufgepasst. Wer konnte denn ahnen, dass so etwas passiert?«
    Eine Träne? Es könnte Selbstmitleid sein, denkt Anna boshaft. »Die beiden Männer waren also nicht am Tisch, während Frau Stark auf der Toilette war.«
    »Ich weiß es nicht mehr, verdammt.« Marilyn drückt ihre Fingernägel in Annas Arm. »Was spielt das für eine Rolle? Es geht darum, dass die Polizei nach uns sucht. Und wenn sie uns kriegt, werden Joy und ich eingesperrt. Das ist nicht fair. Wir haben nichts

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