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Marx, my Love

Marx, my Love

Titel: Marx, my Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Grän
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letzten Bissen ehrfurchtsvoll schluckte, sieht verlangend auf Sibylles Portion: Bratkartoffeln mit Trüffeln. Die Freundin isst stets langsamer als sie. Anna, schling das Essen nicht so runter, sagte ihre Mutter immer zu ihr. Sie war ein gieriges kleines Kind. Ein Buddha-Baby. Von allen Tanten geliebt und später gemästet. Kann es sein, dass sie so etwas wie Neid fühlt? Auf Sibylle, die fast immer alles bekommt, was sie will. Und jetzt ein Baby…
    »Wenn ich es durchziehen würde, was wird dann mit der Kneipe? Soll ich das Baby auf dem Bauch tragen, während ich bediene?«
    Sie sieht auf den perfekten Kellner, der zuerst Annas Teller entfernt und dann Wein nachschenkt. Im »Mondscheintarif« ist die Bedienung etwas lockerer, dafür sind die Preise nicht so astronomisch. Kinder kosten viel Geld – und Zeit, die sie nicht hat. Sibylle wünschte, ihr Herz würde sprechen, doch es ist der Verstand, der die Argumente formt.
    Anna denkt an Rafael. Drei Botschaften auf ihrem Anrufbeantworter: Sie hat ihr Handy wieder. Doch jetzt ist Sibylle am Zug. Dies hier ist wichtiger. »Du nimmst dir einen Babysitter. Und ich bin ja auch noch da. Wir schaffen das schon, glaub mir.«
    Sie hätte nicht gedacht, dass Anna, der wandelnde Zweifel, einer Sache so sicher sein könnte. Und wenn es ihr passiert wäre? Wie hieß er noch… Rafael… würde sie dann auch so reden? »Zwei alte Damen und ein Babysitter! Glaubst du, dass dieses Kind glücklich würde?«
    Anna sieht sich im Lokal um. Alles ist wunderbar, die Speisen, die Bedienung, die Einrichtung, aber niemand hier sieht fröhlich aus. Mit Überwindung der Kindheit verabschiedet sich das Glück in kleinen Portionen. Vielleicht essen die Leute nur zu wenig?
    »Bestimmt. Wir sind alt, aber zärtlich… wer ist überhaupt der Vater?«
    Sibylle blickt zur Decke, als ob es dort geschrieben stünde. Die Sixtinische Kapelle ist anderswo, aber man hat zumindest versucht, sie zu kopieren. Das Honorar des Künstlers haben sie auf die Preise umgelegt. Sie sind wirklich Furcht erregend. »Wenn ich das wüsste… aber es ist ja eigentlich egal. Es könnte Hans sein. Oder Christian. Malcolm ist relativ unwahrscheinlich… ich bin in der sechsten Woche. Wenn ich abtreiben wollte, ginge das noch sehr gut.«
    »Willst du es?« Anna greift nach dem Brot. Davon ist immerhin genug da, und große Augenblicke erfordern körperliches Wohlgefühl. Sie wollte Sibylle so viel erzählen und sich außerdem im Restaurant umsehen. Die Tische sind voll besetzt, und an der Bar stehen schöne Menschen, die auf schönes Essen warten. Sie muss dringend auf die Toilette. Doch jetzt ist das Baby dran.
    »Es wäre nicht richtig, es wegzumachen, oder? Und wenn wir erst in Italien sind, ist das Kind bestimmt glücklich. Es wird im Garten spielen, und wir kaufen einen Hund…«
    Der italienische Traum: Anna möchte an ihn glauben, und jetzt wäre nicht der richtige Moment, Zweifel zu säen. Vielleicht kommen sie nie weit genug in den Süden. Oder Berlusconi verwandelt den Traum in einen Albtraum. Es sind Männer wie er, die Anna fürchtet. Oder Bush, diese unselige Mischung aus Dummheit, Arroganz und Fundamentalismus. Geschöpfe, die von Frauen erzogen wurden. Und was, wenn es mit Sibylles Kind auch schief geht? Wie kann sie nur hier sitzen und ihrer besten Freundin vorspielen, dass sie ganz sicher ist?
    »Anna, sag was.«
    »Wir kaufen einen Hund. Und stellen eine Schaukel im Garten auf.« Anna sieht auf das Beerenragout mit Quarkknödeln, das mit Blumen geschmückt ist. Kann man die essen? Sie hat sich für eine Vorspeise und Dessert entschieden und das teure Hauptgericht ausgelassen, auch eine Art von Diät.
    Sibylle sieht auf ihre Uhr: »Oh Gott, ich muss weg. Ich habe noch einen Termin beim Steuerberater. Habe ich über dieser Geschichte vollkommen vergessen. Kann ich dich hier so sitzen lassen?«
    »Ich bin erwachsen. Und ich esse auch deinen Nachtisch. Und bezahle.«
    Sibylle holt einen Hundert-Euro-Schein aus ihrer Handtasche und legt ihn auf den Tisch. »Kommt nicht infrage. Wir teilen. Außerdem sollten wir jetzt anfangen zu sparen. Kinder sind teuer…«
    Sie drückt Anna einen Kuss auf die Wange, bevor sie geht: ein schlankes Wesen mit weißblondem Pagenkopf, das sich weigert, erwachsen, geschweige denn alt zu werden. Jetzt ist sie schwanger, und alles ändert sich. Sie ist zäh, denkt Anna, und dass sie es schaffen wird. Doch alles ist möglich: auch eine Kehrtwendung in Richtung Abtreibung. Sibylle ist

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