Marx, my Love
Typen, und sie altern nicht, während sie es tut und sich allmählich von ihrem Jargon und Gehabe entfernt. Doch sie muss mitspielen, denn sie ist ein Teil der Einrichtung, des Erfolgs dieser Kneipe. Und solange sie nicht genug Geld zusammenkratzt, ist ein Ausstieg nicht möglich.
Anna hatte Sex, das ist gut, das wird sie von ihrem Geburtstagsgrauen ablenken. Und den Rest wird sie schon noch aus ihr herauslocken. »Tut mir leid, wenn ich heute Abend garstig war. Das Gejohle hat mich fertig gemacht. Warum ruft er nicht an?«
Ist mir doch egal, will Anna sagen, als ihr einfällt, dass ihr Handy an diesem Tag noch nie geläutet hat. Das ist ungewöhnlich, ja geradezu beunruhigend. Sie greift in ihre Tasche und sucht mit der Hand nach dem Ding, doch da ist nichts außer all den tausend Sachen, die sie in ihre Handtasche stopft.
»Was zum Teufel tust du da?«
»Ich leere meine Tasche aus«, sagt Anna und wühlt in dem Berg, den sie auf der Treppe im Haus ausgebreitet hat.
»Schlüssel?«
»Nein. Handy. Oh verdammt, es ist weg. Ich muss es bei Lenz gelassen haben. Da hatte ich es jedenfalls zum letzten Mal. Soweit ich mich erinnern kann.« Gott, wie sie hasst, Dinge zu verlieren. Weil sie eine Schlampe ist.
»Wieder betrunken?« Aber sie sagt es fast liebevoll und hilft Anna, die Handtasche wieder zu füllen.
»Nein. Ach, Mist, ich muss ihn gleich fragen. Es läuft zwar nur der Anrufbeantworter, aber vielleicht hört er ihn ja ab.«
»Und Rafael fragt sich, warum du ihn nicht zurückrufst.
Weißt du, dass große Gefühle an solchen Kleinigkeiten scheitern können?«
Anna hat ihn fast vergessen, verdrängt, in die gedankliche Ecke ungeklärter Gefühle geschoben. »Es scheitert sowieso. Er ist viel zu jung.«
Die zweite Information, denkt Sibylle. Respekt, das hätte sie Anna nicht zugetraut. Sie erschien ihr stets übertrieben vorsichtig in der Wahl ihrer Bettgenossen. Gebranntes Kind, als ob sie nicht alle solche Kinder wären.
Die beiden Frauen steigen schweigend die Treppen hoch zu Annas Wohnung. Das Flurlicht funktioniert ausnahmsweise, und so sieht Anna sofort, dass sich jemand die Mühe gemacht hatte, ihr Türschild abzuschrauben. »Anna Marx – Privatdetektivin« ist verschwunden, und die zwei Schrauben liegen auf der Fußmatte.
Solche Dinge geschehen in Häusern wie diesen, denkt Anna, und dass sie sich nicht ärgern will. Sibylle fährt mit der Hand über die kahle Stelle: »War da nicht was?«
»Unwichtig«, murmelt Anna und öffnet ihre Tür. Niemand ist eingebrochen, es gab kein Feuer, keine Überschwemmung, keinen Bombenalarm, und niemand im Haus schreit, singt oder stöhnt. Sie holt die Whiskyflasche aus ihrem Schreibtisch und stellt zwei Gläser auf den Tisch. Das Leben ist schön. Jeden Augenblick, in dem man es erkennt.
10. Kapitel
»Ich bin schwanger«, sagt Sibylle, und es klingt wie ein Todesurteil.
»Gratuliere.« Anna fischt nach Linsen unter dem Hummer. Sie liebt Linsen.
»Mit vierundvierzig? Bist du wahnsinnig!« Sibylle spricht selten über ihr Alter, schon gar nicht zu Männern. Aber Anna weiß fast alles über sie, und jetzt auch dies: gesegnete Umstände. Schon dieser Ausdruck verursacht Gänsehaut. Spiralen können irren, sagte der Arzt, der eigentlich Komiker werden wollte.
Sibylle kommt direkt aus der Praxis ihres Internisten, der immerhin so begabt war, ihrem Unwohlsein einen Namen zu geben. Sie hat Anna angerufen und sie zum Essen bestellt. Und Anna wollte ins Eat the Rich, weil sie, wie sie es nannte, das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden wollte. Sie hatte ja keine Ahnung, aber jetzt könnte sie zumindest geschockt sein. Doch sie isst einfach weiter. Sagt: »Das Essen ist hervorragend. Nur die Portionen sind ein bisschen winzig – ganz im Gegensatz zu den Preisen.«
»Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?« Sibylle greift nach ihrem Weinglas. Muss man so alt werden, um mit einer solchen Entscheidung konfrontiert zu werden? Sie war natürlich immer für das Recht der Frauen auf Abtreibung, einmal hat sie sogar mitdemonstriert. Aber das ist etwas anderes. Der Weg vom Allgemeinen zum Besonderen ist weit und mit Widersprüchen gepflastert.
Anna prostet ihr zu. »Was immer du tust, tue das Richtige.«
Sibylle könnte ihr den Wein ins Gesicht schütten. Aber sie trinkt ihn. Kein Krebs. Sie fühlt sich blendend. Eigentlich. »Und was ist das Richtige?«
»Keine Ahnung. Ich würde es kriegen wollen, glaub ich. Es ist so ein Wunder.«
Anna, die den
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