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Marx, my Love

Marx, my Love

Titel: Marx, my Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Grän
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erwarten, und so schweigt Anna. Der Wind trägt den Geruch, den sie vorhin wahrgenommen hat, ans Haus.
    Er ist ekelhaft, doch Lily scheint ihn nicht wahrzunehmen. »Sie sind weggegangen. Joy wollte nicht hier bleiben, sie fürchtet sich vor dem Haus. Ich glaube fast, sie kann es nicht riechen.«
    »Versteh ich«, sagt Anna. Sie schwingt sich hoch und sitzt jetzt neben Lily im geöffneten Fenster. Diese Bewegung war für ihre Verhältnisse sehr sportlich, und es gibt bequemere Sitzgelegenheiten. Doch Lily sagt, dass dies ihr Lieblingsplatz sei. »Hier habe ich oft gesessen und Harry beim Arbeiten zugesehen. Manchmal hat er mir vorgelesen, was er geschrieben hat. Er war wirklich sehr gut, weißt du.«
    »Hat dir Rafael denn gesagt, wohin sie gehen?« Anna fällt auf, dass sie mit Lily wie zu einem Kind spricht. Ob Lily und Harry je Sex miteinander hatten?
    Lily schüttelt den Kopf. Anna sieht zarten, weißen Flaum: Lily hat sich nicht rasiert, und jetzt greift sie sich mit den Händen an die Kopfhaut. »Nein, sie sind einfach fort und haben mich allein gelassen. Ich vermisse Harry so. Kannst du ihn nicht wiederbringen?«
    Ich bin keine gute Fee, will Anna sagen. Doch sie bringt es nicht fertig. Und was zum Teufel soll sie jetzt tun? Die Stadt nach Rafael und Joy und Harry absuchen? Langsam hat sie das Gefühl, die schlechteste Detektivin aller Zeiten zu sein. Eine, die immer zu spät kommt. Und sich eine Zigarette ansteckt, statt mutig zur Tat zu schreiten.
    »Wie findest du mein Kleid? Es ist das einzige, das meine Mutter zurückließ, als sie fortging. Ich war zwei Jahre alt. Vater sagt, dass sie eine böse Frau war.«
    »Das war sie bestimmt nicht. Es ist sehr schön. Du solltest öfter Weiß tragen.« Sie springt in den Zeiten, denkt Anna. Ihr Vater ist tot. Und sie ist so allein, dass es wehtut, sie anzusehen. »Hast du wirklich keine Ahnung, wo Rafael und Joy sein könnten?«
    »Das würde mich auch brennend interessieren.«
    Weder Lily noch Anna haben seine Annäherung wahrgenommen. Für einen so großen und starken Mann ist Johannes Täufer erstaunlich lautlos. Er steht so plötzlich vor ihnen, dass Anna vor Schreck beinahe nach hinten gekippt wäre. Und er lächelt, als sei ihm eine freudige Überraschung gelungen. »Hallo, Anna. Sie haben doch nichts dagegen, dass ich Ihnen gefolgt bin.«
    »Kennst du ihn?« Lily verschränkt die Hände über dem Kopf, wie immer, wenn sie sich bedroht fühlt.
    »Nein«, sagt Anna.
    »Ich bin ihr Bulle. Sie hilft mir, Joy zu finden.« Täufer grinst Anna ein klein wenig boshaft an. »Ich dachte mir, ich erspare Ihnen die Telefonkosten, wenn ich hier auftauche… hier riecht es übrigens komisch…«
    »Kompost«, sagen Anna und Lily gleichzeitig, und der Engel sieht dabei zu Boden. Anna erzählt Täufer von Rafael, der mit Joy befreundet sei, und sie lässt Marilyn aus, um den Mann einer Nacht vor dem Bullen zu schützen. Unterlassungen sind unsichtbare Lügen – und Anna reiht Satz um Satz gegen sein skeptisches Schweigen. »Lily weiß nicht, wo die beiden sind. Vielleicht bringt er sie über die Grenze«, sagt Anna und legt jetzt, sie weiß nicht, warum, schützend den Arm um das Wesen im Hochzeitskleid. Lily fühlt sich kalt an, obwohl es ein warmer Tag ist. Und das Fensterbrett ist definitiv nicht für Annas ausladende Hüften geschaffen. Täufers Kopf ist in Höhe ihrer Brust. Er sieht Lily an, als wäre sie eine Vorspeise oder ein Dessert, und schwenkt dann zu Anna, dem Hauptgericht. »Und wenn er sie umbringt?«
    »Blödsinn«, sagt Anna. »Rafael hat mit der Sache überhaupt nichts zu tun.« Und noch während sie spricht, zweifelt sie an ihren Worten. Es gibt nichts, das sie sicher weiß. Außer dass sie sterben wird und den Geruch, der aus dem Garten kommt, nicht sehr viel länger ertragen kann.
    »Er hätte sie doch hier erledigen können.« Lily hüpft vom Fensterbrett, um einem Schmetterling nachzujagen. Sie ist barfuß, und ihr viel zu langes Kleid streift am Boden entlang.
    Täufer sieht ihr nach. »Ist sie ganz dicht?«
    »Absolut«, sagt Anna.
    Lily kommt zurück und stellt sich vor Anna, als ob sie einen starken Hintergrund bräuchte. Sie ist jemand, den man beschützen muss. Das Kind, das Anna nie haben wollte. Es hat jetzt den Zeigefinger an die Stirn gelegt, als ob es Hilfe beim Nachdenken bräuchte. »Ich glaube, Joy wollte noch kurz in die Wohnung. Sie hat irgendeinen Ring vergessen, der ihr wichtig war.«
    »Wann sind die beiden weg?«
    Lily trägt

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