Mary Poppins
zu. Nun schämten sich beide, weil sie sich vor ihr gefürchtet hatten, und begriffen, daß sie trotz allem sehr nett war.
»Wollt ihr nicht herkommen und euch etwas aussuchen, meine Lämmchen? Es ist ein besonderes Rezept – eins, das ich von Alfred dem Großen bekommen habe. Das war ein guter Koch, wie ich mich erinnere, obwohl er einmal die Kuchen hat anbrennen lassen. Wieviel wollt ihr?«
Jane und Michael blickten fragend auf Mary Poppins.
»Jeder vier«, bestimmte sie, »das macht zwölf – ein Dutzend.«
»Ich will daraus ein Bäckerdutzend machen – nehmt dreizehn!« forderte Miß Corry sie freundlich auf.
So wählten also Jane und Michael dreizehn Pfefferkuchen aus, auf jedem war ein vergoldeter Papierstern. Michael konnte nicht widerstehen, eine Ecke anzuknabbern.
»Gut?« piepste Mistreß Corry, und als er nickte, nahm sie ihre Röcke auf und machte aus purem Vergnügen ein paar schottische Tanzschritte.
»Hurra, hurra, das ist wunderbar – hurra!« rief sie mit ihrer schrillen, dünnen Stimme. Dann hielt sie an, und ihr Gesicht wurde wieder ernst.
»Aber versteht mich recht – ich kann sie nicht herschenken. Ihr müßt sie bezahlen. Jeder von euch einen Dreier.«
Mary Poppins öffnete ihre Börse und nahm drei Dreipennystücke heraus. Sie gab Jane und Michael je einen Dreier.
»So«, sagte Mistreß Corry, »steckt sie an meine Jacke! Dahin kommen sie alle.«
Sie besahen sich ihre schwarze, lange Jacke sehr genau. Und tatsächlich, sie war so dicht mit Pennies besetzt wie die Jacke einer Hökerin mit Perlmutterknöpfen.
»Kommt nur! Steckt sie an!« sagte Mistreß Corry noch einmal und rieb sich die Hände. »Ihr werdet sehen, sie fallen nicht ab.«
Mary Poppins machte einen Schritt vorwärts und drückte ihren Dreier an den Kragen von Mistreß Corrys Jacke.
Zur großen Überraschung Janes und Michaels blieb er hängen.
Dann setzten die beiden ihre Dreier auf die Jacke – Jane auf die rechte Schulter und Michael aufs Vorderteil. Auch ihre Dreier saßen fest.
»Wie sonderbar!« sagte Jane.
»Gar nicht, meine Liebe«, kicherte Mistreß Corry. »Vielmehr nicht so sonderbar wie manches, was ich erzählen könnte.« Und sie machte eine weit ausladende Handbewegung zu Mary Poppins hin.
»Ich fürchte, wir müssen jetzt gehen, Mistreß Corry«, sagte diese. »Es gibt heute gebrannte Eierkrem zum Mittagessen, und ich muß zeitig daheim sein, um sie zu machen. Diese Mistreß Brill – «
»Eine armselige Köchin?« fragte Mistreß Corry teilnehmend.
»Armselig?« sagte Mary Poppins geringschätzig. »Das ist gar kein Ausdruck dafür.«
»Ach so!« Und Mistreß Corry rieb sich mit dem Finger die Nase und machte ein verständnisvolles Gesicht. Dann sagte sie: »Nun, meine liebe Miß Poppins, das war ein sehr angenehmer Besuch, und meine beiden Mädel haben sich gewiß nicht weniger gefreut als ich.« Sie nickten ihren beiden großen, traurigen Töchtern zu. »Und Sie kommen doch recht bald wieder, nicht wahr, mit Jane und Michael und den Kleinen? – Könnt ihr die Pfefferkuchen denn auch tragen?« fügte sie, sich an Jane und Michael wendend, hinzu.
Sie nickten, Mistreß Corry kam näher und warf ihnen einen sonderbar bedeutsamen und fragenden Blick zu.
»Ich möchte wohl wissen, was ihr mit den Papiersternen macht«, sagte sie träumerisch.
»Oh, die werden wir aufheben«, antwortete Jane. »Das tun wir immer.«
»Ach – ihr hebt sie auf! Aber ich wüßte gern, wo.«
»Nun«, gestand Jane, »meine liegen alle unter den Taschentüchern in der oberen linken Schublade – «
»Und meine in einer Schuhschachtel im obersten Fach des Kleiderschranks«, sagte Michael.
»Obere linke Schublade und Schuhschachtel im Kleiderschrank«, wiederholte Mistreß Corry nachdenklich, als ob sie sich die Worte einprägen wollte. Dann blickte sie Mary Poppins ein Weilchen an und nickte leicht mit dem Kopf. Mary Poppins nickte leicht zurück. Es war, als teilten sie miteinander ein Geheimnis.
»Nun«, sagte Mistreß Corry vergnügt, »das ist ja sehr interessant. Ihr glaubt nicht, wie froh ich bin, weil ich nun weiß, wo ihr eure Sterne aufhebt. Ich werde es nicht vergessen. Ihr wißt, ich kann mich an alles erinnern – sogar daran, was Guy Fawkes jeden zweiten Sonntag zum Abendbrot bekam. Und nun, auf Wiedersehen. Kommt bald, bald wie-ie-ie-der!«
Mistreß Corrys Stimme schien immer schwächer zu werden und dahinzuschwinden, und plötzlich, ohne daß Jane und Michael merkten, wie es geschah, fanden
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