Mary Poppins
Michael, daß in dem Löffel jetzt Milch war. Dann bekam Barbara ihren Anteil, sie gluckste und schleckte den Löffel zweimal ab. Schließlich goß Mary Poppins noch eine Portion ein und trank sie andächtig selber.
»Rumpunsch!« sagte sie, schmatzte und korkte die Flasche zu.
Jane und Michael sperrten vor Staunen Mund und Nase auf, aber es blieb ihnen nicht viel Zeit, sich zu wundern, denn Mary Poppins stellte die Wunderflasche auf den Kamin und wandte sich ihnen zu.
»Schluß«, sagte sie, »marsch, marsch ins Bett.« Und sie begann, die Kinder auszuziehen. Knöpfe und Haken, mit denen Katie Nanna sich stets abgeplagt hatte, schienen bei Mary Poppins von selbst aufzuspringen. In kaum einer Minute lagen sie im Bett und beobachteten beim trüben Schimmer des Nachtlichts, wie Mary Poppins nun vollends auspackte.
Sie entnahm der Teppichtasche sieben Flanellnachthemden und vier baumwollene, ein Paar Schuhe, ein Dominospiel, zwei Bademützen und ein Postkartenalbum. Ganz zuletzt kam ein zusammenklappbares Feldbett nebst Woll- und Daunendecke zum Vorschein, das sie zwischen Johns und Barbaras Bettchen aufschlug.
Jane und Michael saßen, die Arme um die hochgezogenen Knie geschlungen, und sahen zu. Es war alles so merkwürdig, daß es ihnen die Sprache verschlug. Aber sie wußten beide, heute war mit Nummer 17 etwas Wunderbares und höchst Seltsames geschehen.
Inzwischen hatte Mary Poppins eins ihrer Flanellhemden über den Kopf gezogen und begann sich darunter auszuziehen wie unter einem Zelt. Michael, von dieser neuen Merkwürdigkeit ganz begeistert, war außerstande, noch länger den Mund zu halten.
»Mary Poppins«, rief er aufgeregt, »du gehst doch nie wieder von uns fort, gelt?«
Es kam keine Antwort unter dem Nachthemd hervor, und Michael konnte es nicht mehr aushalten.
»Du gehst doch bestimmt nicht mehr fort? Wie?« schrie er ängstlich. Mary Poppins’ Kopf tauchte aus dem Nachthemd auf. Sie machte ein grimmiges Gesicht. »Noch ein Wort dieser Art«, sagte sie drohend, »und ich rufe den Schutzmann.«
»Ich wollte ja nur sagen«, stotterte Michael eingeschüchtert, »wir hoffen, daß du nicht so bald wieder weggehst…«
Er fühlte, wie er rot wurde, und stockte verwirrt.
Mary Poppins blickte schweigend von ihm zu Jane. Dann zog sie die Luft durch die Nase. »Ich bleibe, bis der Wind umschlägt«, sagte sie kurz, blies die Kerze aus und ging ins Bett.
»Dann ist ja alles in Ordnung«, sagte Michael, halb zu sich selbst und halb zu Jane. Aber Jane hörte gar nicht hin. Sie dachte über alles nach, was sich ereignet hatte, und machte sich ihre Gedanken.
So kam es, daß Mary Poppins im Kirschbaumweg Nummer 17 wohnte. Und wenn sich die Bewohner auch manchmal nach den ruhigeren, im üblichen Trott verlaufenen Tagen zurücksehnten, als Katie Nanna noch das Haus regiert hatte, so waren sie im ganzen über Mary Poppins’ Ankunft doch recht froh. Mister Banks freute sich, daß er dem Schutzmann kein Trinkgeld hatte geben müssen, weil sie von selber gekommen war und den Verkehr nicht aufgehalten hatte. Und Mistreß Banks war zufrieden, weil sie allen Leuten erzählen konnte, ihr Kindermädchen sei so vornehm, daß es nichts von Zeugnissen halte. Mistreß Brill und Ellen waren glücklich, weil sie den ganzen Tag in der Küche starken Tee trinken konnten und nicht mehr das Abendessen der Kinder beaufsichtigen mußten. Auch Robertson Ay war froh, denn Mary Poppins besaß nur ein Paar Schuhe, und die putzte sie selber.
Aber nie hat jemand erfahren, was Mary Poppins bei alledem fühlte. Mary Poppins verriet sich mit keinem Sterbenswörtchen.
2. Kapitel
Mary hat Ausgang
»Jeden dritten Donnerstag«, sagte Mistreß Banks, »von zwei bis fünf.«
Mary Poppins warf ihr einen verweisenden Blick zu. »Die feinen Leute, Mistreß Banks, geben jeden zweiten Donnerstag frei, von eins bis sechs. Und das verlange ich auch, oder…« Mary Poppins legte eine Pause ein, und Mistreß Banks wußte, was sie damit andeuten wollte. Es hieß, Mary Poppins würde nicht bleiben, wenn sie nicht bekam, was sie wollte.
»Gut, gut«, sagte sie rasch, wenn es ihr auch lieber gewesen wäre, Mary Poppins hätte nicht soviel besser über die feinen Leute Bescheid gewußt als sie selbst.
So zog denn Mary Poppins ihre weißen Handschuhe an und nahm ihren Schirm unter den Arm, nicht weil es regnete, sondern weil er einen so schönen Griff hatte, daß sie ihn unmöglich daheim lassen konnte. Wie konnte man auch auf einen Schirm
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