Marzipaneier (Junge Liebe)
lassen? Ich schnappe mir mein Mofa. Ohnehin unmöglich es bis 7.55 Uhr zur Schule zu schaffen. Ben schwirrt durch meinen Kopf und lässt mir keine Ruhe. Ab nach Nieder-Erlenbach. Ich werde die Strecke abfahren. Ich brauche die Gewissheit, dass es keinen Unfall gegeben hat. Nicht mit Ben! Mit weit geöffneten Augen schaue ich mir die Straße genau an. Je näher ich dem Kuhkaff komme, umso mehr senkt sich der Nebel. In der Nacht hat es geregnet. Von weitem erkenne ich die Blinklichter der Baustellenmarkierung. Nichts. Kein Unfall. Nur Baustelle. Im Ort hole ich mir ein Croissant zum Frühstück. Dann gehe ich eben erst zur zweiten Stunde zur Schule. Mich wird niemand vermisst haben.
Auf dem Rückweg habe ich ein mulmiges Gefühl. Langsam fahre ich die Straße ab. Der Himmel tut sich auf. Gas geben! Nein!! Was ist das? Plötzlich gerate ich ins Schleudern. Der neue Asphalt ist besonders glatt. Ich halte. Der Schock steckt mir tief in den Gliedern. Was für ein Glück. Gerade noch rechtzeitig habe ich mich abgefangen. Das hätte böse ins Auge gehen können! Am Fahrbahnrand stelle ich mein Mofa ab. Das war knapp. Ich atme tief durch und schaue mir prüfend den Fahrbahnbelag an. Ich scheine nicht der einzige gewesen zu sein, der beim Übergang vom alten auf den neuen Belag Probleme hatte. Eine lang gezogene Bremsspur breitet sich über die Straße aus. Die Reifenspur geht auf der anderen Straßenseite weiter und führt durch den daneben liegenden Acker. Neugierig wie ich bin, folge ich den Rillen in der Erde. Nach und nach verändern sich die Spuren ins Unerkenntliche. Nichts als aufgewühlte Erde. Das darf nicht wahr sein, Bens Auto! Gewickelt um einen Baum wie eine Serviette. Panikartig stürze ich darauf zu. Die Fahrer- und Beifahrertüren stehen weit offen, oder vielmehr das, was noch davon übrig ist.
„Weg da! Sofort! Was haben Sie hier zu suchen?“ Skeptisch drehe ich mich um. Ein Polizist, ein Mann vom Abschleppdienst und ein Bauer kommen mit großen, aufgeregten Schritten hastig auf mich zu. Ich bringe keinen Ton heraus und zeige geschockt auf das total beschädigte Auto. Es zerfleischt mir die Seele. Kann man daraus überhaupt noch lebend geborgen werden?
„Ich muss Sie bitten, den Unfallort zu verlassen.“
„Aber ... mein Onkel ...“
„… Liegt im Krankenhaus.“
„Was ist überhaupt geschehen?“
„Das erzähle ich dir, wenn du die Männer vom Abschleppdienst ihre Arbeit erledigen lässt.“ Wir gehen zurück zur Straße.
„Bitte, warten Sie. Ganz kurz.“
Plastik raschelt an meinen Schuhen. Überall liegen Glasscherben und Papier verstreut auf dem Boden. Es sieht aus wie nach einer Schlacht. Die Erde ist vom Regen aufgeweicht und der Matsch macht Geräusche wie ein hungriges Tier. Als ich nach unten blicke, kann ich es kaum glauben. Eine Packung Marzipaneier. Sorgfältig hebe ich sie auf. Er wollte zu mir! Alle Eier sind zerbrochen und durch das Regenwasser ungenießbar geworden. Hoffentlich kein schlechtes Omen. Nur ein Ei ist heil geblieben. Es ist aus der Tüte gefallen. Das muss es gerettet haben. Seltsam, ausgerechnet eine Tüte, die es schützen sollte, wäre ihm beinahe zum Verhängnis geworden. Nur eines blieb heil. Das geht mir nahe. Mir wird alles zu viel. Alles dreht sich um mich.
„Das scheint dich ganz schön mitzunehmen. Kaffee?“
Der Polizist nimmt mich mit zu seinem Streifenwagen und holt eine Thermosflasche vom Rücksitz. Ich schlürfe den heißen Kaffee und der Mann versucht mir den Unfallhergang zu schildern. Wieder so ein Klischee. Von wegen unfreundliche Polizisten! Der Mann ist jung und nett. In seiner grünen Uniform sieht er beinahe etwas drahtig aus. Er versucht mich zu beruhigen. Ich muss wissen, was Ben zugestoßen ist. Ben soll auf der neuen Fahrbahn aufgrund überhöhter Geschwindigkeit von der Straßenfläche abgekommen sein. Das klingt wie ein nüchterner Unfallbericht aus dem Radio. Dann hat sich sein Auto überschlagen und rammte gegen den Baum.
„Zuerst hat man den Fahrer nicht gesehen und ist von Fahrerflucht ausgegangen. Jedoch war er nicht angegurtet und ist bei dem Unfall aus dem PKW geschleudert worden. Er war nicht mehr bei Bewusstsein, als man ihn gefunden hat.“
Der Polizist legt seine Hand auf meine Schulter. So wie Ben das immer gemacht hat, um mir Trost zu spenden.
„Oh mein Gott.“ Ich drehe mich um und umarme den Polizisten bis ich realisiere, dass er nicht Ben ist. Was ist bloß in mich gefahren?
„Oops. Entschuldigen Sie. Wo
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