Marzipaneier (Junge Liebe)
jetzt fällt es mir wieder ein. Ich muss an unser erstes Mal und alle schönen Momente mit Ben denken. An unsere Albernheiten, Sauftouren und unsere Küsse. Meine Tränen kommen mit Kullern nicht mehr hinterher. Ich werde dich immer lieben, Ben. Es ist zu früh für dich zu gehen. Ich hoffe, du hast die Zeit mit mir auch genossen. Egal wo du hingehst. Versprich mir, mich niemals zu vergessen.
Ich bin am Main angekommen und stehe verwundert und orientierungslos auf einer Brücke. Ich bin völlig durchnässt. Die Tropfen prassen auf das Wasser und ich blicke desillusioniert hinauf zu den beleuchteten Wolkenkratzern. Und wieder zurück ins dunkle Wasser. Die Regentropfen bringen die Ordnung des Mains durcheinander, aber die Wogen funkeln immer noch. Ich bin einsam und allein. Im Wasser spielt sich noch einmal alles vor meinem geistigen Auge ab. Unser Glück bis hin zum Unfall. Der Hass meiner Familie ist mir gewiss, Ben bald nicht mehr da und meine so genannten Freunde treiben mich zum Wahnsinn. Es dauert nicht mehr lange, dann haben sie es wirklich geschafft. Ich sehe keine Möglichkeit, außer zu springen. Es hat keinen Sinn und vielleicht treffe ich Ben im Jenseits wieder. Wackelig auf den Beinen steige ich über die feuchte Brüstung. Zunächst unsicher lehne ich mich vor und respektvoll wieder zurück. Mein lieber Mann, da geht’s weit runter. Aber es gibt nichts mehr, das mich umstimmen kann. Wer wird mich schon vermissen? Verzeih mir, Ben! Das Leben wird mir hier zur Hölle. Es ist soweit. Das Wasser ruft nach mir. Oder? Mit einer Hand lasse ich los. Eine flaue Brise gibt mir das Zeichen dazu mich hinab zu begleiten, sobald ich mich in die Fluten des Mains stürzen will. Mit einem Kick werde ich meinem verkorksten Leben ein Ende setzen. Ich sollte springen. Jetzt oder nie!
„Stopp, Dennis! Nein! Bist du verrückt geworden?!“
Zwei Hände ziehen mich hastig zurück. Mein Brustkorb knallt frontal gegen die Brüstung. Autsch, das hat wehgetan! Pass doch auf, du Schussel! Was soll das? Ich werde zurück über das Geländer gezogen und lande auf dem Boden der Tatsachen. Vielen Dank, ich könnte längst tot sein! Unter einem Heulkrampf breche ich zusammen. Es geht nicht anders. Es ist die Person, deren Konturen ich vorhin flüchtig gesehen, aber nicht erkannt habe. Oder nicht erkennen wollte. Sie muss mir gefolgt sein. Lena. Ich liege in ihren Armen. Eigentlich hätte ich ins Wasser gehen sollen. Das hätte keinen Unterschied gemacht. Von oben herab fällt der Regen auf mich und von unten durchnässt mich im Moment die Pfütze, in der ich Platz genommen habe.
„Ich hätte nicht gedacht, dass dich das so mitnimmt. Du kannst jede haben. Tut mir leid. Warum bist du im Krankenhaus gewesen? Du hasst die Dinger doch?“
Oh Mann! In welcher Umlaufbahn kreist die denn? Ich denke meine Liebesabenteuer mit Ben sind das Topthema der Schule. Wohl nicht ganz.
„Ich glaube, ich muss was klarstellen. Du bist nicht der Grund für m...“
„... deinen Selbstmordversuch? Sprich es ruhig aus. Man muss dir helfen! Das tut man nicht. Egal, was vorgefallen sein mag. Du brauchst Hilfe.“
„Du hast wirklich nichts mitbekommen? Du sagtest mal, dass man für den Moment leben muss. Auch, wenn andere zurückstecken müssen.“
„Stimmt, ich erinnere mich. Aber um Himmels Willen, was hat das damit zu tun? So hatte ich das nicht gemeint.“
„Das habe ich getan. Ich meine, das für-den-Moment-leben. Ich bin mit meinem Onkel zusammen. Wir schlafen miteinander. Bei ihm fühle ich mich wohl.“
„Mach keine Witze.“
„Stimmt aber. Heute Nacht hatte er einen Unfall und liegt im Koma. Er wird streben, das ist fast sicher. Ich bin so verzweifelt. Erst jetzt kann ich annähernd begreifen, was du bei deinem Vater durchgemacht hast.“
„Das ist ja schrecklich. Dich trifft es aus heiterem Himmel. Ich hatte wenigstens die Gelegenheit mich zu verabschieden.“
Wir reden uns den Mund fusselig. Lena schafft es, mich zu beruhigen.
Erst sehr spät traue ich mich heim. Ich werde bereits erwartet.
„Hier geblieben, mein Freund. Wir haben mit dir zu reden“, sagt Dad.
Ich bin zu geschafft und todmüde. Tot. Dieses Wort werde ich nicht mehr so schnell los. Es haftet förmlich an mir. Mum erkennt meine missliche Lage und sie beschließen morgen nach der Schule mit mir zu sprechen. Ich würde sagen, sie wollen ein Hühnchen mit mir rupfen, nicht eine freundliche Kaffeerunde führen. Ich bin immer noch total durchnässt.
Probleme
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