Maschinenkinder
Schaum vor dem Maul, als die Soldaten vorrückten, das Tempo zum Trab zügelten, dann ihre Lücken schlossen und die Mauerattacke in engster Formation führten. Sie rissen Stände, Zelte ab, während sie durchs Lager preschten: Fässer kippten, rollten weg, und ein Bretterverschlag krachte ein, dass die Leute panisch flohen, im Rollstuhl und auf Krücken, lahm und wehrlos wie Spinnen mit ausgerupften Beinen, so krochen sie davon, aber ihr Freiraum schwand schnell.
Im Nadelöhr zwischen den Planwagen staute sich die Menge auf, wurde aneinander gedrückt, vorne verkeilt, und hinten drängten sie nach. Tumult brach aus. Aus Furcht, niedergeknüppelt oder von den Pferden zertrampelt zu werden, drängte, stieß man seinen Nächsten beiseite, zerrte ihn an den Kleidern zu Boden. Ein Handgemenge, das eskalierte, obgleich die Soldaten längst gehalten hatten, sich sammelten, anstatt den Flüchtenden nachzusetzen.
Vorne, am Zoppot, war schon ein Kind im Menschenknäuel erstickt; blau angelaufen zwischen den Leibern, die gegen die Tore brandeten, schweißnass und wie von Stahlpressen ans Gitter gequetscht, brüllten sie vor Schmerz. Aus der Vogelperspektive wurde ein Wellenmuster deutlich, das durch die Pilger floss, während sie drückten und schoben, der Enge, der Hitze zu entkommen versuchten; doch immer mehr schwemmten nach, Hunderte, Tausende, zwischen Reiterei und Jahrmarkt eingekesselt. Über Leute, die am Boden lagen, und Rollstühle, egal ob besetzt oder leer, stieg man hinweg. Wenige konnten ihre Arme zum Himmel wuchten, um Luft zu holen, viele bezogen Prügel, Prellungen, Brüche oder ihr Brustkorb war eingedrückt worden, dass sie ohnmächtig oder tot in der Masse trieben. Der Lärm drang bis ins Innere des Luftschiffs, die Hilferufe und Flüche und ein spitzer Todesschrei.
Dem Kaiser gefror das Blut in den Adern.
An den Rändern war die Lage erträglicher: Die Kavallerie hatte ihre Sättel verlassen und löste die Gruppen gewaltfrei auf, führte sie ab, trug sie weg, barg die Verletzten, derweil sich am Eingang die Leichen stapelten – ehe das Wunder geschah: Die Teslaspule sang! Erhaben, gottgleich warf sie ihre Blitze in den Äther, und die Leute, erst entsetzt, dann rasend vor Freude, drängten zu ihr hin, so schrecklich gierig nach Strom.
Sofort wurde das Gitter gestürmt, mit den Klauen verbogen oder zerfetzt. In Wellen schwemmten die Pilger herein und rannten, rannten, schleuderten die Krücken fort, den Stützverband, die Taschen, Mäntel, Brillen, Feuerzeuge, den ganzen wertlosen Pomp: Jeder wollte der Erste sein, es gab kein Halten mehr. Eine dichte Menschenflut umspülte die Fahrgeschäfte – da, plötzlich, war eine Zirkusmelodie zu hören, das Pferdekarussell drehte sich wieder, das Riesenrad, und die Schiffschaukel schwang hoch, schwang zurück, wie eh zuvor, alles hell erleuchtet, die ganze märchenhafte Lichterwelt; ein Fiebertraum, okkult und schwarz, Motten, flatternd angelockt von Wärme und von Helligkeit, und die Flügel brannten fest:
Am Turmgerüst kletterten sie hoch, weil kein Platz mehr übrig blieb, verkrallten sich, hangelten mit den Stromgliedmaßen, stürzten – eine Traube aus Leibern, ein zerfetztes Bündel blutgetränkter Lumpen, das zurück in den Tod fiel, bis das Gerüst unter der Last einknickte, als würden Stahlstreben schmelzen.
Ein Blitzgewitter krachte, worauf das Luftschiff niedersank; die Motoren versagten und die Steuerung … Notlandung! Gestrandet am Meer fing der Zeppelin Feuer, rauchende Trümmer.
Der Tag zerbrach, und es ward Nacht.
Alle Uhren standen still.
»Wenn wir die Resultate von Mr. Teslas Arbeit nehmen und aus unserer industriellen Welt entfernen würden, würden die Räder in den Fabriken aufhören, sich zu drehen, unsere elektrischen Straßenbahnen und Züge würden stehen bleiben, unsere Städte wären dunkel, unsere Mühlen stünden still.«
(Laudatio zur Verleihung der Edison-Medaille durch das Amerikanische Institut für Elektroingenieure)
MACHINA
Stille, als ich die Haustür hinter mir schließe. Ich stelle die Einkaufstasche ab, schüttle Regentropfen vom Wollrock und ziehe meine Schuhe aus, um den Flur so leise es geht zu durchqueren. Maurice erschreckt sich ganz leicht, jedes unvertraute Geräusch löst Panik in ihm aus, wie bei einem Tier, das in die Ecke getrieben worden ist: die Furcht in seinen Augen. Deshalb bittet er mich ständig um Überwachungskameras, aber ich befürchte, das würde seine Krankheit nur
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