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Maschinenkinder

Maschinenkinder

Titel: Maschinenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shayol Verlag
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Tisch.«
    ***
    Ich tue, was er verlangt. Angle das Bündel Kabel von einer Legokiste und verbinde es mit dem Helm, der auf dem Tisch bereitliegt. Das fertige Interface hebe ich beidhändig hoch, stülpe es mir über den Kopf. Dann mache ich die Augen zu, noch ehe das Ambient seine künstliche Realität über mich ausschütten kann, sonst wird mir nämlich oft schlecht. Bunte Schlieren schwappen über mich hinweg, laufen an mir runter, als würde ich in einem Wasserfall stehen.
    Die Sicht klart auf … Oh!
    Es hat sich einiges verändert, seit ich das letzte Mal hier war – in seinem wilden Land mit den vielen mechanischen Tieren: Eine bronzene Steppe erstreckt sich vom Hügel, auf dem wir beide stehen, bis zum Firmament und weiter, wo gerade die Sonne rot versinkt. Eine Herde automatischer Giraffen stolziert am Horizont vorbei; schlanke, hydraulische Hälse, die noch von Weitem glänzen, strahlen.
    Über uns ein metallischer Himmel.
    Zirruswolken scrollen ostwärts davon.
    »Was soll ich sagen ...«
    Sein Avatar, ein Zwerg, der einen Werkzeuggürtel trägt, dreht sich langsam um zu mir. Durch dicke Lupengläser betrachtet er mich. »Krass, oder?« Ein breites Grinsen. »War superschwer, das Pendeln der Gräser so hinzukriegen, als würde der Wind sie bewegen.«
    »Kann ich mir vorstellen.«
    »Nein – kannst du nicht.«
    »Du hast auch gefrühstückt?«, frage ich ihn, weil Maurice keinen Finger mehr bewegt, nur reglos dasteht, in Gedanken versunken, und zum Abendhimmel blickt.
    »Nicht hungrig gewesen«, antwortet er.
    »Mensch, Maurice, du kannst nicht immer nur in deiner Traumwelt rumhängen und –«
    »Ach komm, spar dir die Leier … Das haben wir bis zum Erbrechen durch.« Sein Avatar lässt sich ins Gras plumpsen. Eine mechanische Raupe flüchtet weg: auf ein Kupferblatt.
    »Ich habe uns Nufood mitgebracht«, versuche ich, ihn aufzumuntern. »Das magst du doch so gern.«
    »Später vielleicht.«
    »Versprich es mir, ja?«
    »Wenn es dich glücklich macht.« Mit seiner Maschinenhand zupft er die Raupe vom Blatt und setzt sie auf eine andere Pflanze, eine Blume mit goldenem Kelch. »Du musst dir was ansehen.«
    »Reicht das nicht, für heute?«
    »Nein – das ist toll!« Er springt plötzlich auf, packt meinen Arm und zerrt mich mit, den hinteren Hügel abwärts. Wie ein kleiner Junge! Als wäre er zwölf und keine sechsundzwanzig. Und ich hatte so gehofft, dass er wenigstens kleine Fortschritte macht. Wie kann ich ihm helfen? Was soll ich noch mit ihm machen? Müde, traurig, lasse ich mich von ihm weiterziehen. Mein Bruder dreht sich kurz um und zwinkert mir zu, dann läuft er weiter, voraus.
    Die Sonne ist weg.
    Erste, blinkende Sterne am Himmel.
    Wir rennen durch einen Obsthain, dessen Früchte wie Edelsteine glänzen, bis sich der Weg zu einer Lichtung weitet und ich ein Luftschiff sehen kann, einen Zeppelin, ganz aus Metall. Die Gondel steht fest am Boden: verankert, auch der Ballon enthält noch kein Gas, liegt platt auf der Reling wie ein zerstochener Fußball. Halb vom goldenen Stoff verborgen prangt eine Galionsfigur am Bug, eine Nixe mit dem Maul eines Wasserspeiers.
    Maurice lässt meine Hand los, als er sich hinbückt, um aus einer Kiste ein Zahnrad zu heben. »Hier, das brauchst du.«
    »Und was soll ich damit?«, keuche ich, ganz außer Atem. Meine Beine tun mir weh – seltsam, früher habe ich nie etwas gespürt. Da fällt mir auf, dass ich sogar riechen kann: Gräser, Pollen, einen leichten Blütengeruch. Ist das ein Update des Ambient? »Wie hast du das gemacht?«
    »Das Schiff meinst du?«, fragt Maurice irritiert, bevor er mir das Zahnrad gibt. Es ist bleischwer.
    »Nein, dieser Duft …«
    »Tjaaa«, schmunzelt der Zwerg, »mein eigener Hack! Letzte Woche durch Zufall entdeckt, dass man die Sehnerv-Stimulation auch auf die anderen Hirnareale ausweiten kann. Das Knifflige ist, die richtige Spannung anzulegen. Beim Basteln hätte ich mir fast das Sprachzentrum verschmort. Wäre nicht so geil gewesen …« Er lacht.
    »Nicht witzig, Maurice. Lass solche Sachen, okay?«
    »Was denn? Funktioniert doch perfekt …«
    »Mensch, ich hab schon genug mit dir am Hals! Musst du auch noch einen Hirnschlag riskieren?«
    »Hey, alles gut«, wiegelt er ab, schaut aber weg. »Siehst du, da hinten.« Mit der Hand deutet er auf ein klobiges Uhrwerkgetriebe am Heck; mittig ist ein Wasserbehälter aus Glas eingefasst. »Steck dieses Zahnrad an die passende Stelle, und schau, was passiert.«
    Ich

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