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Maschinenkinder

Maschinenkinder

Titel: Maschinenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shayol Verlag
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stöhne.
    »Komm schon, jetzt tu mir den Gefallen.«
    »Keine Lust, echt. Hat das nicht Zeit?«
    »Nee«, grinst er breit. Und da ist es wieder, das Bild vom kleinen Jungen: kurzes blondes Haar und Sommersprossen im Gesicht.
    Das blöde Zahnrad in den Händen, gehe ich zum Luftschiff hinüber und passe es ins Räderwerk ein; rücke es solange auf dem Metallstift zurecht, bis seine Zacken sauber in die anderen Zahnkränze greifen. »Gut so?«
    »Leg den Hebel um.«
    »Den?«
    »Genau.«
    Kaum habe ich die Stange nach unten gezerrt, da springt auch schon das Getriebe an – es hätte mir fast den Ellenbogen zerquetscht! Die Rädchen kreisen, wirbeln, rotieren, alles blinkt golden, blendendes Licht; dann fängt der Behälter zu blubbern an, und ich verstehe: Elektrolyse: Magnet und Spule erzeugen Strom, und dieser spaltet Wasser in Gase auf. Schon wölbt sich der Ballon nach oben; nur wenige Sekunden, und das Schiff wird vom Gras gehoben.
    »Nicht rumtrödeln«, ruft Maurice, der an mir vorbei läuft und eine verzierte Trittstufe hochspringt.
    Ich folge ihm nach, fasse seine Hand – und er zerrt mich ins Innere der Gondel, wo neben Schaltern und Knöpfen zwei Polstersessel stehen. Wir ziehen den Kopf ein und setzen uns, während das Luftschiff sanft wie eine Wolke in den Himmel gleitet. Wundervoll. Mein Ärger ist sofort verflogen, sprachlos blicke ich auf die Welt zu unseren Füßen: die nachtblaue Steppe, die Sträucher und eine Automatenherde mächtiger Elefanten, deren Zahnkränze im Sternenlicht funkeln.
    Noch eine Weile fliegen wir still und seltsam ergriffen, bis ich Maurice anstupse, der über ein Steuerrad das Heckruder lenkt: »Es ist Zeit für dein Abendessen.«
    Sein Zwerg schaut traurig drein. »Aber die Maschinenstadt kommt gleich in Sicht …«
    »Die kannst du mir später zeigen, ja?«
    »Na gut, wie du willst«, schmollt er. »Dann friere ich die Welt an dieser Stelle ein. Wir sehen uns draußen.«
    »Bis gleich, Brüderchen.«
    ***
    Ich zerre den Datenhelm vom Kopf, und Machina fällt von mir ab wie ein Mantel. Zwielicht, die Möbel nur Schemen, auch wenn meine Augen sich nicht umgewöhnen müssen. Mit dem Blütenduft noch in der Nase ist der muffige Geruch des Zimmers jetzt schon eklig, aber durchlüften darf ich nicht, Maurice würde sofort losbrüllen. Müde lege ich das Interface auf die Tischplatte, während mein Bruder aus seiner Starre erwacht – die Sensecap von der Glatze zieht, das eingetrocknete Gel abrubbelt. Danach schlägt er die Augen auf, und sein Lächeln verblasst … nein, er ist nicht gerne hier.
    Ich neige den Kopf und küsse seine Stirn. »Hey.«
    »Hey«, sagt er leise. »Schicker Rock.«
    »Ach, potthässlich das Teil«, lache ich gezwungen und gehe zum Bett, wo die Einkaufstüte steht. »Aber warm.«
    »Kalt draußen?«
    »Und Regen.«
    Wir schweigen – schwierig, mit ihm ein Gespräch zu führen, das sich nicht um Machina dreht. Deshalb öffne ich laut raschelnd die Tüte, hole frische Wäsche für ihn und zwei Packungen Nufood heraus, die ich auf einen großen Atlas stelle: unser Tablett, seit Jahren schon. Ich schlage die Bettdecke zurück und richte alles her, Besteck, Servietten – fast japanisch; wir essen gewöhnlich im Schneidersitz.
    »Lasagne oder Spaghetti, was willst du haben?«
    »Schmeckt doch eh alles gleich«, sagt er mürrisch, worauf er vom Sessel aufsteht und zu mir herkommt. Er klettert aufs Bett, die Matratze wackelt, dann sitzt er mir gegenüber und nimmt Löffel und Gabel. Spaghetti also. Ich schiebe ihm die Packung hin und drücke auf den Selfheat-Knopf, damit der chemische Kochprozess startet, ein festes Ritual zwischen uns beiden: Sophie macht das Essen warm.
    »Und wie geht’s Vater?«, will Maurice von mir wissen, und überrascht schaue ich hoch, sehe, wie er die Lippen zusammenpresst. Die Frage hat ihn Überwindung gekostet.
    Neun Jahre schon seit ihrem bescheuerten Streit über das schlechte Zeugnis der elften Klasse: »Eine schwache Leistung, mein Sohn«, die wohl kaum ausreichen konnte, um dem Familienstammbaum eine neue, steile Karriere hinzuzufügen – Ärzte, Anwälte, Banker. Mit Tradition erfolgreich!
    Ich sehe die Szene noch lebhaft vor mir: mein Übervater im Anzug, brüllend, die Hände zu Fäusten verkrampft; und einen Kopf tiefer steht mein Bruder, mit Wuttränen, die ihm über die aknezerfurchten Wangen laufen, zitternd, das Haar in offenen Strähnen.
    Da hat Maurice sich einfach umgedreht und ist in sein Zimmer gerannt, das er

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