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Maschinenkinder

Maschinenkinder

Titel: Maschinenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shayol Verlag
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nicht mehr verlassen sollte, bis heute, obwohl ich ihm nachgelaufen bin, fast die Tür einschlagen musste, damit er mich zu sich hereinlässt.
    Er saß auf dem Bett, ein Computermagazin aufgeschlagen vor sich, und Tränen kräuselten das Glanzpapier, während er reglos auf die Bilder und Grafiken starrte.
    Etwas in ihm war zerbrochen. Ich sah es in seinen Augen, die getrübt und farblos schienen – zu viele Kränkungen, zu viele Vorwürfe, er würde sich nicht richtig anstrengen, nicht alles geben, um etwas im Leben zu erreichen. Das Leuchten war weg, sein Lachen, seine Lebensfreude, alles von einem sinnlosen Streit ausgelöscht.
    Für immer.
    Maurice hatte einfach dagehockt, stumm, ohne ein einziges Wort zu sagen; und so kletterte ich aufs Bett und nahm ihn vorsichtig in den Arm, wie eine meiner Puppen, bis ich irgendwann einschlief. Am Abend klopfte Papa an seine Tür, um sich umständlich für den Wutanfall zu entschuldigen, man könnte ja drüber reden und so; aber es war zu spät, der Schock saß zu tief – das Trauma, von dem Maurice sich nicht mehr erholen würde.
    Ein fremder Mensch ist er, seitdem.
    Nach kurzem Zögern antworte ich Maurice: »Es geht ihm gut. Für Weihnachten hat er uns zum Dinner eingeladen, in seinem neuen Haus –«
    »… mit der neuen Frau, was? Wie hieß die noch?«
    »Ester.«
    » Ester« , zieht er den Namen lang. »Klingt wie ne Säure.«
    »Na ja, halb so schlimm, oder?«
    »Klar, nimm sie noch in Schutz, die Schlampe!«
    »Mann, reg dich ab!« Ich wühle eine Limoflasche aus der Tüte, suche die Becher. »Mama hat sich von Papa getrennt, und nicht anders herum. Außerdem hat er dir das Haus überlassen.«
    »Ja, ja, was soll’s.«
    »Gut.«
    Stumm, den Kopf gesenkt, warten wir, dass beide Leuchtdioden auf Grün umspringen. Als das Signal kommt, reißt Maurice den Deckel ab und rührt lustlos in den Nudeln rum. Ein paar Gabeln später schiebt er die Packung von sich weg. »Keinen Hunger, hab ich doch gesagt.«
    »Dann iss den Rest später, aber du musst etwas essen. Ohne Zucker im Kopf bist du unkonzentriert und kannst nicht richtig klar denken. Und dann passieren dir Fehler und dann –«
    »Netter Versuch«, sagt er und nickt. »Koffein ist mein Lebenselixier, mehr brauche ich nicht, und es wäre sehr supernett, wenn –«
    »Was ist mit deinen Postern passiert?«, fahre ich dazwischen. Die ewige Diskussion regt mich auf, hin und her, hin und her. Ich renne gegen Wände an!
    »Was soll mit denen sein?«
    »Falls du es nicht gemerkt haben solltest: Sie liegen im Papierkorb! «
    »Ach so … das.«
    »Ja, das !«, greife ich ihn an, obwohl ich das besser wissen sollte. Meine Hände zittern. Die letzten Bissen Lasagne stopfe ich hastig in mich rein.
    »Komm schon, jetzt sei nicht böse. Bin halt ein schwieriger Fall.«
    Vor Wut sage ich kein Wort mehr.
    Ich starre auf meine Hand.
    Als mein Bruder mich an der Schulter berührt, schießen mir Tränen in die Augen; ich kann’s nicht aufhalten, sie steigen einfach hoch, brechen aus mir raus … Und plötzlich, ohne es gemerkt zu haben, stehe ich an der Tür, um meine Schuhe aufzusammeln.
    Auch Maurice ist aufgestanden. »Warte …«
    Aber ich habe die Tür schon aufgerissen – und bin draußen, renne wütend den Flur entlang, heule mir den Frust von der Seele. Weg von hier, weg von ihm! Weg, nur weg.
    Unten angekommen, stülpe ich mir die Schuhe über und flüchte in den Regen hinaus. Fast dunkel um die Uhrzeit. Die Laternen sind an und werfen ihr kaltes, wässriges Licht. Ich friere; bin froh, den Wagen auf der anderen Straßenseite geparkt zu haben. Mit verschränkten Armen überquere ich /
    ***
    »Ah.« Schmerzen am Arm, ein Kratzen im Hals. Ich kriege meine Augen nicht auf.
    »Sie kommt zu sich«, höre ich eine Stimme, dicht neben mir. »Bleiben Sie ruhig, nicht aufrichten, bis wir den Tubus entfernt haben. Das wird jetzt kurz brennen.«
    Etwas wird mir aus dem Hals geholt, ich würge, muss mich aber nicht übergeben. Es kostet Kraft, die Lider zu öffnen – Licht, es ist Tag. Ich liege in einem Krankenzimmer.
    Ein Unfall?
    Das Letzte, was ich weiß, ist der Streit mit Maurice. »Doktor«, presse ich durch die Zähne. Alles kribbelt, meine Finger, die Haut.
    »Sie lagen zwei Wochen im Koma. Leider konnten wir Ihre Angehörigen nicht verständigen, weil Sie keine Personalien bei sich tragen. Wie heißen Sie denn?«
    »Geradin, Sophie Geradin.« Die Informationen sickern nur langsam zu mir durch: Koma, zwei Wochen, Angehörige.

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