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Maschinenkinder

Maschinenkinder

Titel: Maschinenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shayol Verlag
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ölige Schlieren, ehe die Schutzwehr mich erkennt, die Gewehre sinken lässt. In ihren Gesichtern steht Angst, nackte Angst, ein emotionales Detail, das ich wie alle anderen Daten registriere, verarbeite.
    Ich merke mir ihre Namen.
    Zögernd wende ich mich ab und schreite zum Aufzug, der in acht, sieben – sechs Sekunden aufgleiten wird. Die Innenkamera des Lifts zeigt mir den Fahrgast: Doktor Modesta, Schattenmitglied des BND, ein Mann mit grauem Vollbart und altmodischer Drahtbrille, doch die Härte seiner Wolfsaugen bleibt. Unter ihm hechelt ein Bluthund: schwarzes Fell, wie verschorft, und ein Stahlkiefer, der zuckt, als wäre Strom angelegt.
    Bevor die Türen sich öffnen, gellt eine Warnsirene auf, und Drehlampen schleudern Blaulicht quer durch die Tiefgarage. Der Fahrstuhl rastet ein und öffnet sich – und Modesta und das Tier erscheinen, bestrahlt von klinisch weißen Leuchtstoffröhren. Da er nicht von seinem Touchpad aufblickt, das er in der Hand hält, und auch nicht aussteigt, betrete ich die Kabine und warte, bis Argus und Morlock neben mir stehen; erst dann spreche ich ihn an: »In drei Minuten hat unser Objekt den Vorplatz erreicht. Sind Ihre Männer informiert?«
    »Ihnen auch einen guten Abend, Gopher«, erwidert Modesta und zwingt sich zu lächeln. Der Aufzug startet. »Keine Sorge, alles läuft wie geschmiert. Übrigens schätze ich es gar nicht, dass Sie meine Mitbürger als Objekte bezeichnen. Auch dieser Knabe hat einen Namen und eine, wenn auch traurige, Vorgeschichte …«
    »Kev Singh, vierunddreißig, arbeitslos«, rufe ich mir die Akte in den Speicher: »Eltern bei einer Brandbombe gestorben. Kindheit in Erziehungswerken verbracht, mehrfach geflohen; hat Jahre auf der Straße gelebt. Kontakte zu linksextremen Studentenverbindungen, Querverweis zu: Jesabel Brahms. Vorbestraft.«
    »Das perfekte Bauernopfer«, knurrt Modesta, worauf er leicht den Kopf anhebt, um Argus’ Fotozellen zu mustern: Jede Kachel zeigt das Bild einer einzelnen Überwachungskamera – Vorplatz, Foyer, sämtliche Etagen; die Landeplattform. Nur die sanitären Einrichtungen fehlen; eine Video-Überwachung dieser intimen Bereiche verstößt gegen zahlreiche Grundgesetze, aber es gibt alternative Methoden. »Denken Sie, dass Singh den Plan modifiziert hat?«
    »Nein, davon gehe ich nicht aus«, erkläre ich und verpasse dem Köter beiläufig einen Stromschlag, als der Stahlkiefer mein Bein streift. »Der Intelligenzquotient –«
    »Mann, sind Sie noch ganz bei Trost?« Mit dem Touchpad stößt mir Modesta die Hand weg. »Dieser Hund ist Staatseigentum, was zum –«
    »Unser Objekt verfügt nicht über die nötigen geistigen Kapazitäten, die ihm verfügbaren Mittel in anderer Weise zu gebrauchen«, übertöne ich seinen Protest, und der Nachhall des Stimmverstärkers scheppert durch den Fahrstuhl, lässt Morlock knurrend zusammenfahren. Die Abhörwanzen sind hochempfindlich, was Lautstärke und Schalldruck betrifft. Seine Achillesferse.
    Modesta starrt mich finster an. »Wenn der Hund beschädigt ist, wird Ihre Abteilung dafür aufkommen. Einen entsprechenden Vermerk –«
    »… den ich sofort löschen lasse«, setze ich ihm zu. »Verschwenden Sie nicht meine Zeit.«
    »Glauben Sie bloß nicht –«, droht er mir leise, um dann mitten im Satz abzubrechen. Schweigen, bis das achtzigste Stockwerk an uns vorbeizieht; die Ziffer blinkt auf und wird schwarz. »Hören Sie, Gopher, vergessen wir diesen Vorfall und konzentrieren uns auf das Wesentliche: Nachdem Singh die Kapsel platziert hat … wie viel Zeit bleibt noch, ehe der Bürgermeister den allgemeinen Notstand ausruft? Eine Stunde, zwei?«
    Doch ich ignoriere seine Frage.
    Diese Person interessiert mich nicht länger. Mein Blick gleitet durch das Sternberg, sucht die Korridore und Büros ab, nimmt jedes augenfällige Detail auf: Wellen im Teppich, eine defekte Neonröhre; ein Abfalleimer, der zu nahe an der Tür steht. Zahlreiche Fluchtwege stehen zur Auswahl, welchen das Objekt schließlich nehmen wird, bleibt unklar, eine impulsive Entscheidung, die schwer zu kalkulieren ist. Die Simulation ergab wechselnde Strecken von oben nach unten – nur eines ist sicher:
    Er wird nicht weit kommen.
    Karst-Ölbach
    Dr. Richter anrufen? Am besten gleich auf Knien? »Tut mir leid, ich Wurm bin unfähig und unwürdig, der Image-Abteilung der heiligen GEZ die Füße zu massieren.« Oder aus dem Büro schleichen, vor ein Auto laufen? Dem Chef könnte ich später sagen, es war

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