Maschinenkinder
für Notfälle gedacht. Hubschrauber und Flugzeuge dürfen sich dem Gebäude normalerweise nicht nähern. Wer rein will, muss den Haupteingang nehmen. Das Sternberg steht nicht ohne Grund eingekeilt zwischen den Konzern- und Bankentürmen. Sie bilden einen Schutzschild, falls irgendein Fanatiker es mit der klassischen Passagierflugzeug-Kamikaze-Methode versuchen will.
Der Vorplatz sieht jetzt anders aus als damals. Vor neun Jahren hat es die meisten Konzerntempel noch nicht gegeben. Sie haben sich später als Parasiten an den großen Wirt in der Mitte geheftet. Das Denkmal war damals auch noch nicht da. Mahnmal nennen sie es. Ein Mahnmal für die Freiheit, vor der sie uns ..., ähm, die sie für uns alle schützen. Durch Überwachung, Verhaftungen, gewaltsames Auflösen von Demonstrationen.
Das Mahnmal ist ein sechs Meter großes aufgeschlagenes Buch aus Beton, dessen Deckel eine Mauer auseinandersprengen. Irgendein Journalist hat es kurz nach der Einweihung als »ein Ideechen zu stalinistisch« bezeichnet. Seltsamerweise wurde er kurz darauf als Pädophiler entlarvt.
Damals vor neun Jahren hatten Wracks davor gebrannt. Wir hatten Autos angezündet, um die Cops zu zwingen, die Wasserwerfer darauf zu richten. Alle waren auf das Gebäude zugestürmt. Und ich war mitgestürmt, Jesabel hinterher, die aus Überzeugung tat, was sie tat. Mir war Politik scheißegal, mir war die ganze Lamentiererei um Bürgerrechte, Überwachung, Demokratie zu langweilig. Alles, was ich wollte, waren Drogen, Action, Sex und ganz besonders Sex mit Jesabel. Für ein paar Wochen hatte ich all das in vollen Zügen genießen können. Aber es endete hier. Jesabel warf keine Steine, keine Molotow-Cocktails, und sie hielt auch keine Brechstange in Händen. Stattdessen schwang sie irgendein Plakat mit einem brennenden buddhistischen Mönch über dem Kopf.
Ich hatte keine Ahnung, was es bedeuten sollte. Der Bulle vor uns auch nicht. Er war ein kleiner grauhaariger Kerl, keiner von den gepanzerten Typen, die sich uns entgegenstemmten. Seine Hände zitterten. Er hatte Angst. Und er hatte einen Taser. Und Jesabel einen Herzfehler. Sie blieb einfach stehen, erstarrte, gab keinen Laut von sich. Es sah aus, als wollte sie den Cop hypnotisieren – mit Drähten, die aus ihrem Oberkörper bis zu der eckigen Knarre in den zitternden Händen des Polizisten zurückreichten.
Der Arzt sah so jung aus, als wäre er im ersten Semester. Und vielleicht war er das wirklich. Nach drei Stunden hatte er sich durch all die Verletzten bis zu ihrem kalkweißen Körper durchgearbeitet. Ich dachte, sie wäre bewusstlos. Aber es war diese besonders tiefe Art von Bewusstlosigkeit, die nie mehr aufhört. Die dünnen Drähte hingen noch immer aus ihrem Oberkörper, und irgendwie hatte ich den verrückten Einfall, dass wir sie nur an eine Steckdose anschließen müssten, um sie zurückzuholen.
Aber sie war schon zu weit weg.
Ich bin seitdem nicht mehr hier gewesen.
Aber nun ist es an der Zeit.
Zeit, zurückzuschlagen.
Breaking News
Prof. Dr. Mannscheid, Aufsichtsratsvorsitzender der Gesundheit Ruhr AG, hat jetzt das Ergebnis der internen Untersuchung über finanzielle Unregelmäßigkeiten bekannt gegeben. Es seien keinerlei unerlaubte Gelder geflossen, so Dr. Mannscheid. Von Korruption könne überhaupt keine Rede sein. Solche Behauptungen bezeichnete der Vorsitzende als verleumderisch, gegen einschlägige Medien der linken Szene werde Anklage erhoben. Am Rande der Veranstaltung erklärte der Professor, dass insbesondere das Zentrum für Experimentelle Medizin in Gelsenkirchen-Ückendorf in jeder Hinsicht ethisch einwandfreie Arbeit zum Wohle der Bevölkerung leiste.
Gopher
Meterdicke Panzertore, als wäre das ein Atomschutzbunker: Die Tiefgarage des Sternberg hält jedem Anschlag stand, ob terroristisch, militärisch, von inneren oder äußeren Feinden; sie ist ein Safe, der nicht geknackt werden kann. Niemand kommt rein, der nicht reinkommen soll; das gilt für das gesamte Gebäude – hunderte Kameras auf jeder Etage, Bewegungssensoren, Lichtnetze, und die ganzen anderen Spielzeuge, die nicht in der Pressemappe stehen.
Ich hänge mich ins Sicherheitssystem, mache einen Routinescan, während der Panzerwagen die Rampen abwärts klettert und eine Parkbucht ansteuert. Dort angekommen, schaltet Morlock die dröhnenden Turbinen ab. Die Türen gleiten hoch, und wir steigen aus – Argus als Erster, ich folge ihm. Sofort hängen Laserpunkte auf meinem Körper und ziehen
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