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Maschinenkinder

Maschinenkinder

Titel: Maschinenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shayol Verlag
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und erreiche das Plateau auf der Halde.
    Da ist es.
    Regenwasser tropft von den acht spitz aufragenden Dachenden herunter. Ein unglaublich dreckiger kleiner Kerl mit einem riesigen Rucksack voller Werkzeuge auf dem Rücken und einer Schutzbrille auf der Stirn ist mir mal hier oben begegnet. »Ist ein taoistischer Tempel«, hat er gesagt, bevor er den Berg runterhumpelte und dabei irgendwas Unverständliches vor sich hermurmelte, das ich für ein Gebet hielt. Ich bin mir sicher, dass er den Tempel gebaut hat. Aber nicht aus Holz und Stein, sondern aus Stahl, aus Plastik, aus Glas und riesigen bunten Folien. Auf manchen Flächen kann man noch die Aufschriften erkennen. Er hat alles verschweißt, was er in die Finger kriegen konnte. Stahlrohre, Karosserieteile, Motorradrahmen, Warnschilder.
    Es ist der friedlichste Ort, den ich kenne – obwohl er nach Pisse stinkt …
    Noch achtzehn Sekunden …
    Ich wuchte das Bein über das Rad, und es kostet mich mehr Kraft, als es sollte. Farbige Kleckse tanzen vor meinen Augen und aus dem roten Warnicon am Rand meines Sichtfeldes wird ein purpurnes. Noch mehr Farben unten in der Stadt. Auf der Veranda vor dem Tempeleingang gehe ich endgültig in die Knie, und mein Körper schnappt ums Überleben ringend nach Luft, während ich mich so entspannt fühle, als hätte ich nichts damit zu tun.
    Noch neun Sekunden …
    Der Prozess muss längst eingeleitet worden sein. In wenigen Augenblicken wird geschehen, was überfällig war. Sie werden ihre Augen verlieren, sie werden ihre Ohren verlieren, und sie werden ihre Münder verlieren. Taub, blind und ohne ihr Netzwerk werden sie erfahren, wie es ist, keine Kontrolle mehr zu haben.
    Willkommen in unserer Welt.
    Noch null Sekunden …
    Ich blicke über die Stadt und warte …
    Karst-Ölbach
    In der Ruhrstadt gibt es alles, und das in jeder Qualitätsstufe, von lachhaft billig bis unerschwinglich teuer, von Giftplastik aus China bis zu russischer Öl-Dekadenz. Die Menschen bevölkern dieselben Skalen. Ich selbst? Ich fühl mich gerade wie ausgekotzt und keinen Cent mehr wert. Unten auf der Straße hängen Bettel-Opis rum, die sind besser dran als ich. Jedenfalls müssen die morgen nicht ihrem Boss Rede und Antwort stehen, höchstens dem Schöpfer, und der verzeiht.
    Hab ich gehört.
    Ich ziehe die Schubladen auf. Papierkram in der ersten, ich wühl ihn sinnlos durch. Zweite Schublade: noch mehr Papiere, ausgedruckte E-Mails, in deren Signatur steht »Denken Sie an die Umwelt – müssen Sie diese E-Mail wirklich ausdrucken?«. Unter der Spezifikation eines Web-Portals für Elektro-Schuhe finde ich die Schachtel Kondome. Auch egal. Dritte Schublade – Hustentee und Anisbonbons. Ich trete die Lade zu und versuche zu denken. Was ich brauche, ist ... eine gute Ausrede. Nichts ist, wie es scheint. Diese Wahrheit gilt es auszunutzen.
    Ich ziehe die unterste Schublade wieder auf. Greife nach den Anisbonbons, rieche an der Tüte ... Nichts ist, wie es scheint. Was ich brauche, ist Psilocin. Luftdicht verpackte Knubbel, rot mit weißen Pünktchen. Hat was von Fliegenpilz. Wirkt aber anders. Ganz anders als Anis jedenfalls.
    Ich fläze mich auf den Stuhl, lege die Füße auf den Tisch. Lasse das Zauberbonbon im Mund zergehen. Die Werbebanner auf meinem Bildschirm wirken ziemlich bunt. Sie blinken, der ganze Raum blinkt. Der Audio-Spam säuselt lieblich in Dolby Digital, erzählt von sinnlichen Freuden und exotischen Genüssen. Mir ist, als ob Dana wieder durch die Tür geschlüpft käme, mit ihren schwarzen Nylons ...
    Hihi. Jetzt ist mir doch tatsächlich ihr Name wieder eingefallen. Dana heißt sie. Oder so ähnlich.
    Irgendwann höre ich auf zu kichern, weil etwas nicht stimmt.
    Der Bildschirm zeigt eine blaue Fehlermeldung. Dann geht er aus.
    Der Audio-Spam stottert, stirbt mitten im Satz.
    Analoge Dunkelheit.
    Breaking News
    Lara Avix, die gestrige Gewinnerin der Casting Soap Daily Star , wurde in einem Düsseldorfer Nobelhotel dabei beobach –
    Gopher
    Die Zwillingsrotoren zersplittern den Regen, als der Helikopter durch die Wolkendecke stößt und weiter an Höhe verliert – unter uns: die Stadt, schwarz wie ein Brandloch, dessen Ränder noch glimmen, bis auch dort der Strom ausfällt.
    Blinde Ampeln.
    Keine Werbeclips, die auf Großbildschirmen flackern.
    Kein elektrisches Licht in den Häusern, Schaufenstern.
    Vor wenigen Sekunden ist der Schwarm plötzlich abgestürzt, mitten im Flug; als wären Insekten gegen eine Scheibe geprallt und

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