Masken der Begierde
schien sie zu mögen.
„Es entspricht den Tatsachen, dass man Allegras Leiden nur selten bemerkt. Sie leidet an Schwächeanfällen. Nicht häufig, doch oft genug, dass ich nicht das Risiko eingehen kann, sie unbeaufsichtigt zu lassen.“ Die Lüge ging glatt von seiner Zunge. Wenn Allegra ihren ersten Anfall in Miss Delacroix’ Anwesenheit bekam, war immer noch Zeit genug, die Gesellschafterin über den wahren Sachverhalt aufzuklären. Bis dahin war die Beziehung der beiden gefestigt, Miss Delacroix hatte seine Schwester besser kennengelernt und liebgewonnen und würde Allegra nicht wie eine schwachsinnige Irre behandeln.
Miss Delacroix wirkte nachdenklich, als sie nickte. „Gibt es etwas, das es im Ernstfall zu beachten gilt?“
Lucas schüttelte den Kopf. „Behandelt sie sanft und verständnisvoll.“
Miss Delacroix neigte ihren Kopf hoheitsvoll. „Ich hatte nichts anderes vor.“ Ihr Blick glitt über Lucas’ Gesicht. Ihre Mundwinkel zuckten amüsiert, sodass er sich irritiert fragte, was ihre Belustigung hervorgerufen haben mochte. Sie knickste und verließ das Arbeitszimmer. Er glaubte, Miss Delacroix’ Lachen durch die dicke Eichentür zu hören.
„Seltsame Frau!“, murmelte Lucas und beugte sich gerade wieder über seine Papiere, als Jeremy, der Butler, anklopfte. Frustriert legte Lucas seinen Federkiel beiseite.
„Mylord.“ Jeremy stellte ein Teetablett auf ein Tischchen vor dem Kamin. „Euer Nachmittagstee.“
„Danke, Jeremy.“ Lucas wandte sich seinen Unterlagen zu. Als der Butler reglos vor dem Schreibtisch verharrte, sah Lucas auf. „Ist noch etwas, Jeremy?“
Der hochgewachsene Butler räusperte sich. „Mylord, wenn mir die Bemerkung erlaubt ist, Ihr habt da etwas im Gesicht.“
„Was denn?“, fragte Lucas ungeduldig, als der Butler sich nicht zu äußern wagte. „Nase? Augen? Einen Bartschatten?“
„Schwarze Streifen.“ Die Stimme des distinguierten Butlers klang erstickt.
„Streifen?“, echote Lucas, woraufhin Jeremy nickte.
Lucas erhob sich und eilte zum nächstgelegenen Spiegel. Fluchend wischte er über die Schmutzspuren in seinem Gesicht.
„Tinte“, stieß er hervor.
Wie war das geschehen? Nun fiel ihm Violet Delacroix’ seltsames Benehmen ein. Dieses dumme Weibsbild! Warum hatte sie nichts gesagt? Wütend rieb er an den Tintenspuren auf Wange und Stirn herum. Wie lang lief er bereits damit herum? Nicht auszudenken, wenn er Gäste empfangen hätte!
Er stürmte in seine Privatgemächer, schmiss die Tür hinter sich zu und brüllte nach seinem Kammerdiener. Morley lief beim ersten Schrei Lucas’ aus der Ankleidekammer, um zu sehen, was sein Herr wünschte.
Morley starrte Lucas an und bemühte sich erfolglos, sein Grinsen zu unterdrücken.
Lucas hob aufgebracht die Arme. „Halt keine Maulaffen feil! Hilf mir, die Farbe aus meinem Gesicht zu bekommen!“
Violet kicherte, während sie den Gang hinunterlief. Der Earl verwandte so viel Mühe darauf, abweisend und eigenbrötlerisch zu wirken, dass es amüsant war. Als sie die Verschmutzung in seinem Gesicht bemerkt hatte, wollte sie ihn darauf aufmerksam machen, doch dann dachte sie, es geschähe ihm recht, den restlichen Tag so herumzulaufen. Sie lachte erneut, als sie sich an das verschmierte Gesicht ihres Arbeitgebers erinnerte. Wie sich das Jackett um seine muskulösen Schultern gespannt hatte, als seine großen Hände über das Gesicht fuhren. Violet unterdrückte das Zittern, das ihr bei der Erinnerung an die Berührung durch Lucas St. Clares festen Griff über den Körper rieselte. Sie räusperte sich, als helfe das, den Gedanken an seinen harten Körper, den würzigen Duft seiner Haarpomade zu vertreiben, an seine Wärme, die ihr Innerstes durchdrungen hatte. An die Wonne, die ihr seine Lippen auf den ihren geschenkt hatten. Sie hielt inne, ließ sich gegen die Wand sinken und schloss die Augen. Sie musste aufhören, an diese Dinge zu denken. Sie war nicht mehr als eine Dienstbotin. Violet Delacroix war keine Frau, die einem Earl ebenbürtig war.
Sie gab sich einen Ruck und kehrte in den Salon zurück, wo Allegra über ein Buch gebeugt saß und nebenbei Gebäck knabberte.
Als Violet hereinkam, schrak sie zusammen und versteckte das Buch hinter den Sofakissen. Violet ging zu der Récamiere.
„Diese Kissen sind einfach wundervoll.“ Sie hob eines hoch und griff mit der freien Hand nach dem Buch. „Robert Burns also.“ Sie las den Titel. „Eine fabelhafte Wahl. Meiner Meinung nach sein bestes
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