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Masken der Begierde

Masken der Begierde

Titel: Masken der Begierde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivy Paul
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einen Stich. „Hat Leandra dich verärgert? Oder ich?“, fragte sie.
    Allegra zuckte mit den Achseln, und Violet ahnte, dass sie sich auf der richtigen Spur befand.
    „Liebes“, tastete sich Violet behutsam vor. „Womit habe ich mir deinen Unbill zugezogen?“
    „Stimmt es? Seid Ihr in Wahrheit Lady Isabel?“, verlangte Allegra zu wissen.
    Violet richtete ihre Röcke, um Zeit zu gewinnen.
    „Sagt Leandra die Wahrheit?“ Allegra verschränkte ihre Arme vor der Brust.
    „Ja“, gab Violet zu.
    „Weiß mein Bruder das?“ Noch immer schien Allegra verärgert, aber nun wirkte sie auch neugierig.
    „Ich musste es ihm gestern Abend gestehen. Ich wurde auf Lady Piktons Abendgesellschaft erkannt.“ Violet berührte Allegras Arm. „Darf ich es dir erklären? Die wahre Geschichte? Nicht das, was Klatsch und Tratsch verbreiten?“
    Allegra machte eine unbestimmte Bewegung.
    Violet lehnte sich zurück und schloss die Augen. Die Fahrt nach Halcyon Manor dauerte noch eine ganze Weile. Zeit genug, um Allegra ihre ganze traurige Geschichte zu erzählen.
    „Meine Mutter Ghislaine stammte aus Frankreich. Sie starb, als ich noch ein Kind war. Für meinen Vater wurde ich erst mit meinem Debüt interessant. Er hat sehr viel Zeit und Mühen darauf verwendet, einen geeigneten Ehemann für mich zu finden.“ Violet schwieg für einen Moment. Den Kriterien ihres Vaters hatten finanzielle und gesellschaftliche Überlegungen zugrunde gelegen. War der Verehrer reich, einflussreich oder anderweitig nützlich für den Duke of Okeham? Violet hätte es akzeptiert, dass ihr Vater ihren künftigen Gemahl nach diesen Kriterien aussuchte. Doch dass Violets Zufriedenheit und Wohlergehen so gar keine Rolle gespielt hatten, verletzte sie bis heute zutiefst.
    Robert trat in ihr Leben, als die ersten Verhandlungen ihres Vaters mit akzeptablen Verehrern begannen. Vielleicht wäre es Robert nie gelungen, sie zu verführen, wenn sie sich nicht so verletzlich und ungeliebt gefühlt hätte. Violet riss sich zusammen und konzentrierte sich auf die Geschichte, die sie Allegra erzählte. „Letztes Jahr tauchte endlich der passende Kandidat auf: Maximilian Cantrell, Duke of Wexington. Er war all das, was mein Vater suchte; vermögend, zielstrebig und mächtig.“
    Allegra legte ihre Hände in den Schoß. „Das hört sich doch nicht verkehrt an“, meinte sie zögernd.
    Tat es nicht. Violet hatte sich in ihr Schicksal gefügt gehabt. Ihr Leben hatte wie ein Reiseplan vor ihr gelegen, keine aufregende Strecke, aber akzeptabel. Bis am Abend ihrer lange geplanten Verlobung alles über ihr eingestürzt war. Sie wollte keinem Mann die Hand zum Bund fürs Leben reichen, der sie nur aus finanziellen Interessen heiratete. Einen Mann, der sie offensichtlich verachtete. Das war nicht das Leben, das sie akzeptieren würde.
    „Er wollte nicht mich, sondern mein Geld. Einen solchen Mann konnte ich nicht heiraten. Ich habe noch am selben Abend auf dem Ball vor den Gästen meine Verlobung gelöst, und es gab deshalb einen riesigen Skandal. Mein Vater warf mich daraufhin aus dem Haus. Ich war ihm nicht mehr nützlich.“
    Allegra betrachtete Violet aus aufgerissenen Augen. „Ihr seid völlig mittellos, obwohl Euer Vater einer der reichsten Männer Englands ist?“, vergewisserte sich Allegra.
    „Ich besitze nur das, was ich in meiner Tasche nach Halcyon Manor brachte“, bestätigte Violet.
    „Wie habt Ihr überlebt, ehe Euch Lucas in Stellung nahm, Miss Delacroix?“, fragte Allegra neugierig.
    „Ich konnte persönlichen Schmuck verkaufen und davon ein Zimmer und Essen bezahlen“, erzählte Violet.
    Allegra nickte und musterte Violet mit stummer Ehrfurcht. Die beiden schwiegen eine Weile, bis vor ihnen Halcyon Manor auftauchte.
    „Ihr werdet doch bei uns bleiben, nicht wahr?“, wollte sie besorgt wissen.
    Violet nahm Allegras Hand und drückte sie. „Natürlich, ich lasse dich nicht im Stich, Allegra“, versprach sie.
    Ein Mädchen sollte eine weibliche Bezugsperson haben. Jemanden, dem es sich anvertrauen konnte und der es verstand. Jemanden, der es beschützte.
     
     

Kapitel 11
     
    Beurteile nichts nach seinem Aussehen,
    sondern nach dem Beweis. Es gibt keine bessere Regel.
    Charles Dickens
     
    Die Familienchronik der St. Clares hatte den Ehrenplatz in der Bibliothek inne. Das Stehpult, auf dem das uralte Buch lag, war mit edlen Schnitzereien versehen und mit Goldintarsien unterlegt. Ehrfürchtig näherte sich Violet und schlug es auf.
    Letzte

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