Masken der Lust (German Edition)
fallen.
Viel später …
Sarah hätte schwören können, dass jemand die Anweisung gab, sie möge ihr Gehirn in eine aufrechte Stellung bringen und ihr Strumpfband anlegen. Sie öffnete mühsam ein Auge. Die Flugbegleiter gingen durch die Gänge, verteilten zellophanverpackte Biscotti und füllten mit geübter Hand winzige Tassen mit herrlich duftendem Kaffee.
Leb wohl, Italien, dachte sie. Hallo, New York. Allein schon die Koffeinmoleküle in der Luft müssten ausreichen, um den ganzen trägen Haufen ausgelaugter Fluggäste aufzuwecken.
Eine Stunde später näherten sie sich dem Kennedy-Flughafen. Die Landung war weich, wie Landungen eben sein sollten. Einige Idioten klatschten, Sarah jedoch nicht. Von einem Piloten konnte man erwarten, dass er sich darauf verstand, ein Flugzeug zu fliegen. Dies war kein Bühnenauftritt.
Sie kam ohne allzu große Schwierigkeiten durch den Zoll und lief anschließend den langen Gang hinunter, der zur U-Bahn-Linie A führte, denn sie wollte keine großen Summen für ein Taxi verschleudern, das sie den ganzen Weg bis nach Brooklyn bringen würde, obwohl es etwas schneite. Von schwarzen Kaugummiplacken gesprenkelt und schlecht beleuchtet, war der Bahnsteig kein sonderlich angenehmer Ort zum Warten, aber der Preis war unschlagbar. Einmal die Fahrgeldkarte durchziehen, und sie würde bis auf einen Häuserblock Entfernung an ihr Apartmentgebäude kommen. Der lange Schlaf hatte sie halbwegs belebt. Immerhin musste sie am nächsten Morgen nicht aufstehen, um bei WetPaint zu arbeiten.
Sarah setzte sich auf ihren Koffer und richtete ihn so aus, dass sie die Gleise hinunterschauen und den Zug der Linie A einfahren sehen konnte. Der Griff drückte sich in ihren Hintern, und sie ruckte herum, um es bequemer zu haben.
Da kam der Zug. Zwei Scheinwerfer durchschnitten die Schneeflocken, und der Bahnsteig grollte unter ihren Füßen. Der Zug rollte heran, und die Türen gingen zischend auf. Sie mied den schlafenden Typ im Kapuzen-Sweatshirt, der eine ganze Bank belegt hatte, und lächelte der Mutter in der Daunenjacke zu, deren drei kleine Kinder sich wie Küken an sie schmiegten.
Es fühlte sich gut an, nach Hause zu kommen. Das gute alte New York hieß sie auf seine ganz eigene Art willkommen, wie ein großer, schmuddeliger, gutmütiger Hund, der beschließt, sich an einen zu lehnen. Daran konnte man nicht viel ändern, und so lehnte man sich am besten zurück und dachte nicht an den Dreck. Der Zug ratterte von Halt zu Halt, die Türen zischten auf und schlugen zu, die sonntagnächtlichen Fahrgäste stiegen ein und aus.
Recht viele Leute fuhren vom Flughafen in die Stadt. Sie hatten ihre gewaltigen Koffer in den Waggon gewuchtet und sich als Gruppe dahinter verschanzt wie Siedler in ihrer Wagenburg auf feindlichem Gebiet. Zweifellos waren sie auf dem Weg zu ihren Hotels in Manhattan. Keiner hatte ihnen gesagt, dass sie zuerst durch Brooklyn fahren mussten, und so zogen sie mit besorgten Mienen ihre U-Bahn-Streckenpläne zurate und sprangen jedes Mal auf, wenn der Zug in einen Bahnhof einfuhr.
Ortsfremde konnte man immer daran erkennen, dass sie ausschließlich andere Ortsfremde nach dem Weg fragten, dachte Sarah. Aber ihr Herdeninstinkt würde sie schließlich doch ans gewünschte Ziel führen.
Sie gähnte. Ihre anderen Mitreisenden waren eine bunte Mischung, von Ghettobengeln in Trainingsklamotten bis zu müden Großmüttern, jeder und jede in Gedanken versunken. Sarah klemmte ihre Füße in den Turnschuhen unter den Koffer und blickte keinem ihrer New Yorker Mitbürger direkt ins Gesicht, denn das tat man nicht. Stattdessen musterte sie Dr. Zizmors Reklame mit dem Regenbogen. Sein fröhliches Eichhörnchengesicht und die Danksagungen zufriedener Patienten waren fester Bestandteil der New Yorker Untergrundbahn.
Ihre Haltestelle kam eher als erwartet. Sie stand rasch auf und stieg aus, rollte ihren Koffer an die Treppe und hievte ihn Stufe für Stufe nach oben. Er wurde mit jeder Sekunde schwerer, und sie schalt sich dafür, dass sie Kleider um die halbe Welt und wieder zurückschleppte. Bei ihrer nächsten Reise, wohin auch immer, würde sie sich auf ein Baströckchen und einen BH aus Papier beschränken.
Sarah trat auf die Straße, blieb stehen, um Atem zu schöpfen, und schaute zu den schlichten Sandsteinhäusern und Ziegelgebäuden empor. Die meisten Fenster waren erleuchtet, und sie konnte Leute in ihren Wohnungen umhergehen sehen.
Ein Mann und eine Frau traten näher an ein
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