Masken - Unter magischer Herrschaft: Roman (German Edition)
mit dem Kinn gegen einen Stein. Stöhnend rappelte sie sich auf. Der Tiger war ihr weit voraus, gerade verschwand er im Gehölz. Das Getöse schwoll an, es polterte und dröhnte, als fiele der Himmel selbst in sich zusammen. Der Dschungel beugte sich unter der Macht des Unwetters, Äste brachen und krachten zu Boden, Lianen fegten wie zornige Schlangen durch das Dickicht.
Sie rannte weiter, ziellos, getrieben vom Sturm und von der Angst. Überquerte die Lichtung, blieb am Waldrand stehen, klammerte sich an einen Baumstamm und rang um Luft. Verschnaufen, nur für einen Moment. Der Schmerz pochte in ihrem Kinn, und sie spürte Blut über ihren Hals laufen. Um sie toste es, der Sturm näherte sich seinem Höhepunkt. Ein weiteres ohrenbetäubendes Krachen jagte ihr Entsetzen in alle Glieder, die Erde erbebte – und ganz unvermittelt wurde es still. Der Himmel klarte auf, die Wolken verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren, und der Tag erstrahlte in neuem Glanz. Dennoch erschien Ferin das plötzliche Schweigen der Elemente beinahe so unheilvoll wie der Sturm zuvor.
Nur langsam beruhigte sich ihre Atmung. Noch nie hatte sie ein derartig heftiges Gewitter erlebt. Und wie schnell es heraufgezogen und wieder abgeklungen war!
Ein Knacken drang aus dem Gebüsch, und Ferin erblickte Ziagál, der sich an sie heranpirschte. Sein Begrüßungsprusten war verdächtig zurückhaltend. Und als er geduckt und mit halb geschlossenen Augen um ihre Beine strich, wirkte er hochgradig schuldbewusst. Ferin musste grinsen. »Na, du bist mir aber ein Feigling. Lässt mich einfach im Stich.«
»Ferin!« Beim Klang ihres Namens zuckte sie zusammen und sah auf. Zwischen den Baumstämmen hastete Sobenio auf sie zu, aus dessen Gesicht eher Besorgnis denn Schuldbewusstsein sprach. Hatte er sich gar auf die Suche nach ihr gemacht?
»Alles in Ordnung?«, fragte er. »Was ist mit deinem Kinn?«
Sie tastete über die Schramme. »Ich bin gestürzt. Das Gewitter …«
»Bei den Mächten, wenn das ein Gewitter war, dann will ich ein Merdhuger sein.« Er blickte sich um. »Wo ist der Sack?«
Na bestens. In ihrer Panik hatte sie den ganz vergessen. »Er liegt beim Stadttor«, seufzte sie.
»Beim Stadttor? «, wiederholte Sobenio entgeistert. »Du warst in Rhivar?«
»Rhivar.« Der klangvolle Name jagte ihr einen Schauer über den Rücken. »So heißt die Stadt also.«
»Was hattest du dort verloren? Du solltest doch Crujus sammeln!«
»Das habe ich auch. Aber dann bin ich über einen Stein gestolpert, der auf der Lichtung lag. Ich bin der Straße gefolgt und …« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Niemand hat mir je von dieser Stadt der Pheytaner erzählt!«
Sobenios Züge verhärteten sich. »Lass uns gehen.«
»Wohin?«
»Nach Rhivar, den Sack holen«, sagte er, als wäre es eine Selbstverständlichkeit, dass er sie nun begleitete.
Das Unwetter hatte eine Spur der Verwüstung durch den Wald gezogen: geknickte Äste, abgerissene Ranken und Blätter, niedergedrückte Farne. Ziagál lief nun wieder munter voran und setzte über alle Hindernisse hinweg, die Ferin und Sobenio erst mühsam übersteigen oder umgehen mussten. Der Magier gab sich wortkarg, schritt kräftig aus, und Ferin tat sich schwer, mit ihm mitzuhalten.
Sie war ihrerseits ins Grübeln verfallen, da war so vieles, was sie beschäftigte. Einerseits brannte sie darauf, mehr über die geheimnisvolle Stadt zu erfahren, andererseits konnte sie das seltsame Ereignis von vorhin nicht vergessen.
»Wenn es kein Gewitter war, was dann?«, fragte sie Sobenio, als ihre Gedanken vor Neugier bereits überkochten.
»Magie«, erwiderte er kurz angebunden. »Ein unkontrollierter Ausbruch.«
»Was? Ein unkontrollierter Ausbruch von … Magie? Wie gibt es denn so etwas?«, wunderte sich Ferin. »Ich dachte, Magie kann nur von einem Magier angewandt werden.«
Sobenio zuckte die Achseln.
»Hast du denn so einen Magieausbruch schon mal miterlebt?«, bohrte sie weiter nach.
»Nein. Noch nie.«
»Wieso vermutest du dann, dass es Magie war?«
»Was sollte es sonst gewesen sein?«, gab er ruppig zurück. »Eine derartige Heftigkeit. Und so kurz. Kein Regen, bloß Blitze, Donner und Sturm. Nein, das war kein normales Gewitter.«
Ferin schwieg verwirrt. Ihr lagen eine Menge weiterer Fragen auf der Zunge, aber wenn Sobenio in dieser abweisenden Stimmung war, konnte man einfach kein vernünftiges Gespräch mit ihm führen.
Als sie die Einmündung der zweiten Straße erreichten,
Weitere Kostenlose Bücher