Masken - Unter magischer Herrschaft: Roman (German Edition)
funktioniert! Welch geringen Aufwands bedurfte es, ein Volk vergessen zu lassen. Zweihundert Jahre Maskierung, und nur wenige Pheytaner erinnerten sich noch an ihre Herkunft. Und diejenigen, die verstanden, ahnten oder auch nur fühlten, was in Wahrheit mit ihrem Volk geschah, wurden aus der Gesellschaft eliminiert. Weggesperrt. Zu Sklaven der Merdhuger gemacht.
Ein Gefühl der Ohnmacht durchströmte Ferin, heiß und erschreckend, und so schmerzhaft. Das Empfinden, nichts zu sein, das sie ihr Leben lang mit sich herumgeschleppt hatte, war keine Täuschung, sondern brutale Wirklichkeit gewesen. Sie hatte in sich das riesige Loch in der Seele ihres Volkes und die unstillbare Sehnsucht nach den eigenen Wurzeln gespürt. Die Beine knickten ihr weg, und sie sank zu Boden, niedergedrückt von der plötzlichen Last der Wahrheit. Rhys hatte recht. Was sie taten, war zu wenig. Zu wenig, um das Licht der Rebellion am Brennen zu halten. Zu wenig, um ein Volk zu befreien. Einfach zu wenig. Zornestränen traten Ferin in die Augen, sie ballte die Fäuste. Sie wollte handeln, und das sofort.
Es musste eine Möglichkeit geben, das Schicksal ihres Volkes aufzuhalten! Wenn sie nun alle Gefangenen zugleich befreiten? Und den Merdhugern vereint die Stirn boten? Jeder Pheytaner verfügte über bestimmte Fähigkeiten; gewiss waren viele Kämpfer oder Läufer dabei, vielleicht auch Magier – sie mussten nur ausgebildet werden. Dann, ja dann könnten sie gegen Laigdan marschieren und ein Ultimatum stellen. Die Forderung, das Gesetz der Maskierung ein für alle Male aufzuheben.
Ferins Gedanken sprangen hin und her, sie schäumte beinahe über vor Tatendrang. Ideen und Pläne entstanden in ihrem Kopf, wurden wieder verworfen, nur um neuen Platz zu machen. Eines aber wusste sie: Sie würde mit Tamir darüber sprechen.
Erst nach einer Weile bemerkte sie, dass Ziagál sich erhoben hatte und unruhig um sie herumstrich. Sein Schwanz stand waagrecht vom Körper ab, nur die Spitze bewegte sich. Seine flach angelegten Ohren zuckten nervös, und aus seiner Kehle drang ein anhaltendes Knurren. So hatte sie den Tiger noch nie erlebt. Etwas war nicht in Ordnung, ganz und gar nicht in Ordnung.
»Was ist denn?«, fragte sie, stand auf und blickte sich um. Sie konnte nichts entdecken, was sein Verhalten rechtfertigte. Der Platz lag idyllisch im Sonnenlicht, es war nichts Beunruhigendes zu hören, weit und breit war niemand zu sehen. Eigenartig. Allerdings boten die Ruinen genügend Schlupfwinkel und Deckung, sich an sie heranzuschleichen. Bestimmt war es klüger, sich auf das feine Gespür des Tigers zu verlassen.
»Komm, wir gehen«, sagte sie und wollte sich auf den Rückweg machen.
Aber Ziagál machte keine Anstalten, ihr zu folgen. Er zog weiter seine Kreise und schien mit jeder Runde erregter zu werden. Das Fell gesträubt, fauchte er, und sein Schwanz peitschte unablässig über den Boden. Er sah furchterregend aus, und Ferin musste sich sehr zusammenreißen, nicht vor ihm davonzulaufen.
Plötzlich blieb er stehen, senkte den Schwanz und gab ein ersticktes Ächzen von sich. Die darauffolgende Stille währte nur einen Herzschlag, dann brach das Chaos los.
Bleigraue Wolken quollen aus dem Blau des Himmels wie Rauch aus einem Kessel, schoben sich vor die Sonne und verdunkelten sekundenschnell den Tag. Ferin meinte, ersticken zu müssen, so schwer und dicht war die Atemluft auf einmal geworden. Gleichzeitig schwoll der Wind aus dem Nichts zu einem Orkan an, Bäume und Büsche bogen sich bis zum Boden, und Ferin kämpfte verzweifelt darum, nicht umgeworfen zu werden. Sand und Steine wirbelten in geisterhaften Wolken voran, stachen wie Nadeln in ihre Haut. Donnergrollen ließ die Luft erzittern, Blitze zuckten auf – bizarre Lichtgebilde, die im Zwielicht lila aufleuchteten. Waren die Mächte des Himmels erzürnt, dass sie ein solches Gewitter schickten?
20 Magie
F erin lief los, stemmte sich gegen den Wind und kam dennoch nicht von der Stelle. Rechts von ihr fuhr ein Blitz in einen Baum und steckte ihn in Brand. Der Schreck mobilisierte ihre Kräfte, und sie schoss davon. Ziagál übernahm die Führung, und sie entschied, sich auf ihn zu verlassen. Ohnehin blieb nicht die Zeit, auf ihre Umgebung zu achten oder gar nach Markierungen zu suchen. Sie ließen die Stadt hinter sich und tauchten in den Dschungel ein.
Zweige klatschten Ferin ins Gesicht. Sie verhedderte sich in den Ranken einer Schlingpflanze, fiel der Länge nach hin und schlug
Weitere Kostenlose Bücher