Maskenspiel
einen Hinweis finden könnte, was wirklich mit Fria los war. Vermutlich hatte sie in ihrem pathologischen Ehrgeiz einfach nicht widerstehen können, als sie so leicht an Stielkes Forschungsergebnisse kam. Es mochte alles ganz einfach sein, wenn Katinka nur endlich hinnahm, dass Fria und nur Fria die Täterin gewesen war.
Aber es passte nicht. Stielkes Nervosität, die den Opferstatus, den er mit mit solcher Vehemenz zur Schau trug, unglaubwürdig machte. Der Laptop auf seinem Schreibtisch und der angebliche Freund mit dem eigenartigen Namen. Die Dateien, die Tom auf Diskette gezogen hatte. Und wer beschriftete schon eine Diskette zur ausschließlich eigenen Verwendung mit seinem Namen und seinem Wohnort. Es stimmte nicht. Carsten Stielke hatte Fria eine Falle gestellt und Fria war hineingeraten wie ein tapsiges Pelztier. Die Gier nach mehr Erfolg, mehr Anerkennung, mehr Medaillen hatte sie getrieben.
Jetzt ist nur die Frage, dachte Katinka, während sie immer noch auf und ab tigerte, hat Stielke das alleine arrangiert, oder gab es eifrige Kollegen, die sich angeschlossen haben? Katinka konnte gut verstehen, was Fria gesagt hatte: Der Erfolg produzierte den Neid. Je besser Fria wurde, desto weiter entfernte sie sich von ihren Kollegen. Montfort baute in seiner Cleverness gleich vor und gab mit seiner Vorliebe für die Bamberger Brauereien und den fränkischen Dialekt an. Signalisierte: Ich laufe außer Konkurrenz mit. Apropos Montfort: War nicht er derjenige gewesen, der die PC-Probleme an das Rechenzentrum hatte weiterleiten sollen, und der angeblich jeden Tag dort zweimal anrief? Rasch hob Katinka ihren Rucksack vom Boden auf und machte sich einen Vermerk in ihr Notizbuch. Fragen über Fragen bestürmten sie. War Carsten Stielke ein adäquater Gegner für Fria? Lag er fachlich nicht ohnehin weit im Rückstand? Schließlich war er erst Doktorand. Was war mit Ruth los gewesen? Warum hatte sie am Freitagabend ins Büro gehen wollen? Und Henry? Hätte auch Ruth dran glauben müssen, wenn Katinka nicht aufgetaucht wäre? Hatte der Mörder am Freitag nicht gewagt, es mit zwei potentiellen Opfern aufzunehmen? Oder sollte es eine Besprechung geben? Zwischen Ruth und dem Mörder? War Ruth die Mörderin? Worüber hatte sie so erbittert mit Henry gestritten, am vergangenen Mittwoch?
Es klingelte. Katinka erschrak so heftig, dass sie mit dem Bleistift einmal über die ganze Seite fuhr. Der schwarze Haken auf dem weißen Papier leuchtete ihr entgegen.
Ethelbert?
Katinka ließ sich auf die Knie sinken und robbte zur Tür, wo sie auf den Lichtschalter drückte. Fria war nicht der Typ, von dem eine Nachbarin sich Eier borgte.
Es klingelte ein zweites Mal.
Vorsichtig erhob sich Katinka und schlich ans Fenster. In der beginnenden Dunkelheit mochte sie hinter den Gardinen stehen und hinaussehen können, ohne selbst gesehen zu werden. Doch die Straßenlaterne leuchtete blendend hell in Frias Arbeitszimmer. Katinka zuckte zurück. Dann fasste sie einen Entschluss, schnappte sich ihren Rucksack, steckte die Waffe in ihre Jackentasche und verließ Frias Wohnung. Sie drehte den Schlüssel zweimal im Schloss, zerrte dann die Gummihandschuhe von ihren Händen, stopfte das leblose Latex in ihre Hosentasche und schob wie zufällig die Hand neben die kompakte, kleine Pistole.
Als sie die Haustür öffnete, prallte sie gegen eine Frau mit einer auffälligen Sonnenbrille.
»Frau Jahns-Herzberg!«, sagte Katinka in entspanntem Tonfall, während ihr Herz wie rasend hämmerte. »Guten Abend.«
Entschlossen zog sie die Tür ins Schloss und nahm ihr Fahrrad auf.
»Was … machen Sie hier?«, stieß Helena heiser hervor.
»Gute Frage. Was machen Sie hier?«, gab Katinka ruhig zurück. Es war eine jener Situationen, in der ihr Herz toben konnte, wie es wollte – sie wirkte nach außen so gelassen, als bräche sie zu einem Sonnenbad in den Hain auf.
»Ich … Nun, Professor Laubach hat mich angerufen und mir mitgeteilt, dass Fria einen Unfall hatte. Ich dachte, ich könne sie besuchen. Aber …«
»Sie ist noch im Klinikum«, entgegnete Katinka. »Und ich bin gerade dabei, ihr einige Anziehsachen zu bringen.« Sie schwenkte ihren Rucksack.
»Noch im Klinikum?«, fragte Helena. Sie drehte sich fahrig um. In dem Moment bemerkte Katinka den weinroten VW Touran , der sich dick und fett in die Zufahrt gestellt hatte. Sie würde kaum mit ihrem Rad vorbeikommen.
»Passen Sie nur auf, wenn der Parküberwachungsdienst auftaucht«, sagte Katinka
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