Maskenspiel
die Pfeuferstraße.
Katinka rannte durch den Bindfadenregen zur Eingangstür, die gerade hinter Laubach ins Schloss fiel.
»Morgen, Herr Laubach.«
Er erschrak tatsächlich heftig und fuhr herum, so schnell seine Massen es ihm erlaubten.
»Himmel, wieso erschrecken Sie mich derart«, schimpfte er.
»Verzeihung«, entgegnete Katinka ungerührt. »Herr Professor, ich muss sie unbedingt sprechen. Jetzt. Es steht zu befürchten, dass«, sie senkte mit einem vielsagenden Blick zur Treppe, »noch mehr Leute umkommen. Geben Sie mir eine halbe Stunde!«
Laubach stöhnte, wischte sich die Regentropfen von der Glatze und bemerkte:
»Ich habe um zehn eine Besprechung und noch etliches vorzubereiten!«
»Herr Laubach«, Katinka sprach noch leiser, »die Lage ist ernst. Auch im Hinblick auf Ihre Tagung.«
Sie war sich sehr unsicher, als sie Laubach die Treppe hinauf folgte. Der Anblick seines schweren Körpers, den er gegen die Schwerkraft anstemmte, hatte etwas Bedrückendes. Sollte er das Gleichgewicht verlieren und stürzen, würde er sie unter sich begraben.
Im ersten Stock pinnte Frau Först gerade einen Aushang ans Schwarze Brett. Sie gewahrte zuerst nur ihren Chef und rief ein freudvolles »Guten Morgen, Herr Laubach!«, doch das Lächeln fiel ihr aus dem Gesicht, als sie Katinka aus seinem Windschatten treten sah. In diesem Job wirst du nicht geliebt, hörte sie Julius Liebitz’ Stimme.
Laubach brummte etwas und schritt so eilig er konnte auf sein Büro zu. Er bot Katinka Platz an und schloss die Tür.
Sie schilderte ihren Plan. Laubach hörte aufmerksam zu. Ab und zu räusperte er sich vernehmlich und zog eine zerdrückte Packung Fishermen’s Friend aus seinem Jackett. Der stechende Mintgeruch durchdrang das ganze Büro.
Als Katinka geendet hatte, sagte er mit resignierter Stimme:
»Wenn das zutrifft, Frau Palfy, dann muss ich meinen Hut nehmen.«
Katinka sah ihn überrascht an, aber er fuhr fort:
»Wenn ich das alles nicht bemerkt haben sollte … Meine Güte!« Er wirkte ehrlich erschüttert.
»Noch gibt es die Chance, die Angelegenheit wieder ins Lot zu bringen«, sagte Katinka.
»Sehen Sie«, erklärte Laubach ihr. »Zu diesem Kolloquium erwarte ich Gäste aus dem Ausland, Referenten von bedeutendem Ruf. Ich mag mir nicht vorstellen, ich mag mir einfach nicht vorstellen …« Er schwieg und lutschte hingebungsvoll sein penetrantes Bonbon.
»Es ist die beste und einzige Möglichkeit, den oder die Täter zweifelsfrei zu entlarven«, sagte Katinka eindringlich.
»Jeder von den Anwesenden, ausgenommen vielleicht die wenigen Studenten, die sich zu uns trauen, durchschauen innerhalb von Minuten, was gespielt wird. Es wird einen Eklat geben.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Katinka. »Stellen Sie das Programm so um, dass Fria Burgwart genau vor Carsten Stielke spricht. Aber tun Sie das ganz kurzfristig. Wir müssen die Täter aus dem Konzept bringen.«
Laubach schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich würde jetzt sagen«, erläuterte er und stemmte sich aus seinem Spezialstuhl, »der Junge täte mir Leid, aber ich muss Ihnen glauben. Das tut weh, ich sage es Ihnen, verdammt weh.« Er starrte bewegungslos und schicksalsergeben aus dem Fenster in den wild grünenden Hinterhof.
»Für jedes Verhalten gibt es Gründe«, sagte Katinka. »Haben Sie eigentlich Fria Burgwart schon im Klinikum besucht?«
»Nein«, sagte Laubach und öffnete seinen Schrein, eine Hausbar, wie Katinka sie aus Filmen der Fünfziger kannte.
»Sie trinken sicher nichts, wenn Sie im Dienst sind?«
»Nein«, sagte Katinka und lächelte ihn an. Er tat ihr Leid, ein wenig zumindest. Er war ein Gefangener seines Renommees, seiner Ehe, seiner Fettmassen, seiner Mitarbeiter. Im Grunde war er eine einsame Seele.
»Frau Burgwart will heute schon wieder zur Arbeit kommen«, fügte er hinzu und goss sich einen Bourbon ein.
»Was?«, rief Katinka entsetzt. »Aber ihre Verletzungen sind nicht gerade harmlos.«
»Das verstehen Sie nicht«, brummte Laubach und trank seinen Whiskey. »Die Tagung. Jeder Vortrag auf einer internationalen Tagung bedeutet einen Pluspunkt bei weiteren Bewerbungen. Man …«
»Danke für die Belehrung«, sagte Katinka unhöflich. »Allerdings habe ich Gesundheit und Unversehrtheit immer für das höchste Gut gehalten, für eines der höchsten zumindest, und ich käme wirklich nicht auf die Idee, wegen Ansehen oder beruflichen Lorbeeren meine Gesundheit aufs Spiel zu setzen.«
Sie war sich bewusst, unbedacht zu
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