Massiv: Solange mein Herz schlägt
gedacht, verfinsterte sich Babas Miene. Verdammt, ich hätte nicht so offensichtlich grinsen sollen, ärgerte ich mich und stopfte, in der Erwartung, jeden Augenblick eine gescheuert zu kriegen, das halbe Brot in meinen Mund. Mit hungrigem Magen geschlagen zu werden war besonders schmerzhaft, denn um Schläge gut wegstecken zu können, brauchte man Kraft, und wenn man hungrig war, hatte man keine Kraft. Zu diesem Zeitpunkt wunderte ich mich über Babas Wutanfälle schon gar nicht mehr, sie tauchten einfach auf, unerwartet, wie dunkle Regenwolken an einem strahlend blauen Himmel. Zu meiner Überraschung ging er nicht auf mich los, starrte stattdessen auf das Brot, als wäre es nicht von dieser Welt. Schnell schlang ich auch den Rest hinunter, verschluckte mich dabei und hustete lauter Falafelkrümel heraus. Ohne jede Vorwarnung sprang Baba vom Stuhl, vor Schreck wich ich zurück, mein Hocker taumelte hin und her wie ein Betrunkener, der sein Gleichgewicht nicht halten konnte, und beim Versuch, mich irgendwo festzuhalten, stieß ich meine Cola um, fiel rücklings nach hinten und landete geräuschvoll auf meinem Hintern. Ich blieb benommen sitzen, während mir kalte Brause in den Schritt lief. Baba seufzte und sah mich an, als hätte ich das mit Absicht getan.
»Du brauchst immer Aufmerksamkeit, tztztz «, schnalzte er mit der Zunge, wie auch sonst, wenn mir etwas Peinliches passiert war. Wegen meines Auftritts hätte Baba fast vergessen, warum er überhaupt aufgestanden war. Er stellte sich vor Saods Theke, der keine Anstalten machte, mir eine Serviette zu reichen.
»Ich habe diesem Jungen versprochen, mit ihm essen zu gehen. Es ist sein Geburtstag und irgendwas muss ich ihm doch schenken.« Baba zeigte mit seinem Zeigefinger auf mich. Von meiner Froschperspektive aus wirkte er mächtiger und beängstigender als jemals zuvor. Baba holte tief Luft, streckte den Brustkorb raus und sprach weiter.
»Wie Ratten wurden wir aus unserer Heimat vertrieben, wir sind geflüchtet, haben gelebt wie Kakerlaken, haben Not, Elend und Hunger auf uns genommen und wofür? Um am Ende zur untersten Schicht der Gesellschaft zu gehören!«
Wenn Mama böse auf Baba wurde, sagte sie, er würde nicht nur aussehen wie Mussolini, sondern sich auch so benehmen. Ich wusste nicht, wer Mussolini war, aber anscheinend waren Baba und er sich sehr ähnlich. Saod kratzte desinteressiert seine schuppige Kopfhaut und betrachtete geistesabwesend die roten, weißen und gelben Soßen in den Plastikbehältern vor ihm; am Rand hatten sie schon dunkle Verfärbungen angenommen und waren, wie der Rest der Bude, ein Fall für das Gesundheitsamt.
»Stimmt etwas nicht mit deinem Essen, Bruder?« Saod zeigte sich von Babas Rede nicht sonderlich beeindruckt, er rührte die Soßen, bis sich die dunklen Ecken mit dem Rest vermischten und die Spuren der Fäulnis beseitigt waren.
»Ob etwas nicht mit meinem Essen stimmt?« Mein Vater machte eine dramatische Pause. Ich stellte mich auf, spürte, wie die Cola weiter an meinen Weichteilen herunterlief, und zog an Babas Arbeiterhemd, in der Hoffnung, ihn besänftigen zu können. Baba war mir selbst vor Saod peinlich, ich verfluchte meinen Geburtstag und diese verdammte Falafel.
»Lass mich! Mein Sohn, ich habe dich heute in dieses Restaurant geführt, um dir etwas über unsere Kultur zu erklären.«
Restaurant? Der Laden war ein sieben Quadratmeter großer, nach Bratfett stinkender Imbiss. Saod sah nicht aus wie ein piekfeiner Chefkoch, er sah nicht einmal aus wie jemand, der sich die Hände wusch.
Wie sollte ich hier etwas über meine Kultur lernen? Eines verwunderte mich aber doch, Baba hatte mich »mein Sohn« genannt. Sonst war ich nur der »Faulpelz« oder der »Nichtsnutz«, an freundlicheren Tagen vielleicht »Wasiem, der Tunichtgut«. Mein Sohn, das hatte er zum ersten Mal gesagt. Es fühlte sich gut an, am liebsten hätte ich dieses Gefühl konserviert, um es ewig zu erhalten – das Gefühl Babas Sohn zu sein. Irgendwas stimmte mit dieser Falafel nicht, sie hatte meinen Vater verändert.
»Wasiem«, Baba sah mich ernst an, »ein Mann, der seine Kultur nicht kennt, ist kein Mann und deshalb wertlos.« Er richtete einen scharfen Blick auf Saod.
»Mit der Falafel haben wir unsere Kultur in dieses Land gebracht und nun muss ich zusehen wie dieser Hmar , Esel, das einzige Gute zerstört, was wir jemals zustande gebracht haben!«
»Aber … aber … was habe ich denn getan?« Saod ließ die Schultern
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