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Massiv: Solange mein Herz schlägt

Massiv: Solange mein Herz schlägt

Titel: Massiv: Solange mein Herz schlägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massiv mit Mariam Noori
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schaffen, einen Krieg unbeschadet zu überleben – zumal nicht jeder zugefügte Schaden mit bloßem Auge zu erkennen sei. Mein Vater war schon immer ein Mann mit Biss gewesen. Menschen, die auf ein Leben voller Enttäuschungen und Entbehrungen zurückblicken, brauchen Biss, um nicht verrückt zu werden, wie Mama zu sagen pflegte. Die meisten Dinge über Baba und wie es ihm früher ergangen war, erzählte mir meine Mutter, denn er selbst zog es vor, den Mantel des Schweigens über seine Vergangenheit zu legen. Ich sammelte die Geschichten über ihn wie Puzzleteile, die ich versuchte so zusammenzufügen, dass ein einheitliches Bild von ihm entstand.
    Baba wuchs in einem Flüchtlingscamp bei Baalbek im Libanon auf. Armut, Krieg, Flüchtlingslager. Drei Worte, mit denen sich Babas Kindheit gut zusammenfassen ließ. Er war das älteste von neun Kindern und musste schon in jungen Jahren arbeiten gehen, damit sich die Familie über Wasser halten konnte. Allerdings wäre Baba nicht Baba gewesen, wenn er es nicht auch unter den denkbar schwierigsten Bedingungen geschafft hätte, sich durchzusetzen. Er beendete die Schule und anschließend ein Studium mit Auszeichnung. Mit Anfang zwanzig beschloss er, trotz der lautstarken Proteste meiner Großeltern, seinen Traum von einem Leben in Europa wahrzumachen. Alles, was er auf seine waghalsige Flucht nach Deutschland mitnahm, waren ein Rucksack mit seinem wenigen Hab und Gut, gefälschte Pässe für die Einreise, 5000 hartnäckig zusammengesparte Dollar für die Schleuser und sein mühevoll erarbeitetes Diplom in Telekommunikation. Mama spottete, das sei die Trophäe des einzigen Triumphes in seinem Leben.
    Baba hatte einst große Ziele und träumte von einem Leben außerhalb der hohen Lagermauern, wo es weder Krieg noch Lehmhütten, sondern Aussicht auf ein menschenwürdiges Leben gab. Während Mama das alles erzählte, blieb mir die Spucke weg. Ich konnte nicht glauben, dass sie über meinen Baba sprach. Über einen Mann, der immer abschätzig erklärte, der Weg in die Hölle sei mit den Träumereien der Menschen gepflastert. Unmöglich, dass Baba mal ein Mann mit Träumen war.
    Letztendlich kam er nach Pirmasens, in der Hoffnung, sein Studium würde ihm gute Möglichkeiten für einen Neuanfang bieten. Das Jahr darauf holte er Mama nach. Tatsächlich hätte Baba sich besser informieren sollen, bevor er den weiten Weg nach Europa zurücklegte, denn sein Diplom war hier wertlos. Trotzdem war Baba stolz darauf. Pedantisch, wie er war, hatte er es sauber einschweißen lassen und an der Flurwand aufgehängt. Mama machte sich lustig über Baba und sein »schwachsinniges Telefondiplom«. Wenn Baba Klagelieder über meine Unfähigkeit vortrug, rieb er mir unter die Nase, wie er, als rechteloser Palästinenser aus einem Flüchtlingslager, es sogar geschafft hatte, sein Studium zu beenden, während ich, trotz all der Möglichkeiten, schon in der Vorschule fast sitzen geblieben wäre. Ich wusste nicht einmal, was ein Telefondiplom war; ich verstand auch nicht, wofür man überhaupt ein Telefonstudium brauchte, denn jeder wusste doch, wie man ein Telefon bedienen musste – so ein Kuhmist. Kein Wunder, dass Baba mit so einem Blödsinn nichts anfangen konnte und wir arm wie Kirchenmäuse waren. Zum Arsch mit Studieren. Baba kam nach Deutschland, um die weite Welt zu sehen, er war es leid, immer nur ein Flüchtling zu sein, mit elf Familienmitgliedern in einer dürftigen Unterkunft zu hausen, nichts zu besitzen und nichts zu sein. Seine gesamte Jugend hatte er mit Arbeiten und Lernen verbracht, denn Arbeit brachte Geld, und Bildung öffnete die Pforten zu einem besseren Leben, wie er immer sagte. Am Ende landete er in Pirmasens.
    Wieder ein Flüchtling, wieder mit der Familie in einer Einzimmerwohnung, sein Diplom reichte nur für einen Job in der Gusseisenfabrik, und dank seiner dürftigen Sprachkenntnisse wusste er nicht einmal, wie das, was er tat, auf Deutsch hieß. Doch Baba nahm seinen Job überaus ernst, er kam nie zu spät, ließ sich nie krankschreiben und ging jeden Tag voller Enthusiasmus zur Arbeit. Das wiederum warf eine Frage auf: Liebte Baba seine Arbeit, oder hasste er sein Zuhause?
    Zwanzig Jahre lang tat Baba jeden Tag dasselbe, und ich hörte ihn nie von vergangenen Träumen sprechen. Vielleicht hatte auch er in seiner Jugend Träume, vielleicht wollte er reich werden und die Welt sehen, Ansehen und Anerkennung ernten. Vielleicht. Wenn es denn so war, hätte er sich eher

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