Mata Hari
unaufhörlich, »ist es unangebracht, die Motive ihrer Vergehen anderswo zu suchen.« Wir sollen sie, das ist sein größter Wunsch, auf der Anklagebank nur mit seinen Augen sehen. In Wahrheit ist es ihm, trotz seinem rühmlichen Wunsche, sich durch keine Leidenschaft hinreißen zu lassen, unmöglich, seine Verachtung und seinen Widerwillen zu verbergen. Für ihn ist die Angeklagte nur eine hassenswerte Spionin, bar jeder anständigen Regung. Und doch findet man in seinem eigenen Bericht Beweise dafür, daß alle, die der berüchtigten Tänzerin zarte und selbstlose Gefühle zuschreiben, uns nicht täuschen. »Man hatte bei Mata Hari«, sagt Massard, »viele Briefe von Offizieren, Fliegern und hervorragenden Pariser Persönlichkeiten gefunden. Einen hatte ein Kriegsminister geschrieben ... Der Brief, der zu den Akten gehörte, sprach von Tagesneuigkeiten und sehr intimen Dingen. Der Präsident hatte stehend begonnen, ihn zu lesen ... Plötzlich erhob sich Mata und sagte: Lesen Sie nicht diesen Brief, Herr Oberst.
– Ich muß das tun.
– Dann unterdrücken Sie die Unterschrift.
– Warum?
– Weil, versetzte Mata, der Unterzeichnete verheiratet ist und ich nicht die Ursache eines Dramas in einer anständigen Familie sein möchte.« Massard gibt zu, Oberst Semprou habe vor dieser aufrichtigen Bitte eine Minute lang ergriffen gestutzt. Er freilich begnügt sich damit, ironisch zu lächeln und knüpft den Faden seines Berichts sofort wieder an.
Eine grausige Kälte strömt aus diesem Bericht:
– Am Tage der Kriegserklärung, sagt der Präsident zur Angeklagten, haben Sie mit dem Polizeipräsidenten von Berlin gefrühstückt und ihn dann in seinem Wagen begleitet, umgeben von der tobenden Menge.
– Das ist wahr, antwortet Mata Hari. Ich hatte den Polizeipräsidenten in einem Varieté, wo ich tanzte, kennen gelernt. In Deutschland hat die Polizei das Recht, die Kostüme der Künstlerinnen zu prüfen. Man hatte in den Zeitungen geschrieben, ich erschiene fast völlig nackt und der Präsident wollte infolgedessen meine Aufmachung selbst sehen. So traten wir in Beziehungen zueinander.
– Sehr richtig. Kurz darauf beauftragte Sie der Chef der deutschen Spionage mit einer vertraulichen Mission und schickte Ihnen dreißigtausend Mark.
– Das ist wahr, was die Person und die Summe betrifft. Dieser hohe Beamte schickte mir genau dreißigtausend Mark, aber nicht als Bezahlung für Dienste der von Ihnen genannten Art, sondern als Lohn für meine Hingabe. Der Chef der deutschen Spionage war mein Geliebter.
– Das war uns nicht unbekannt, aber diese Summe erscheint uns als ein übliches Geschenk für empfangene Liebe, offen gesagt, maßlos hoch.
– Mir nicht. Niemals gab mir jemand weniger.
– Um so besser ... Von Berlin kamen Sie nach Paris, und zwar auf dem Wege über Belgien, Holland und England. Was für ein Zweck führte Sie nach Paris?
– Ich wollte vor allem meinen Umzug aus der Villa in Neuilly überwachen.
– Unmittelbar darauf weilten Sie, unter dem Vorwand in einem Feldlazarett helfen zu wollen, sieben Monate lang in der Kampfzone.
– Jawohl, in Vittel, wo ich aber nicht Krankenschwester im Lazarett war. Ich wollte dort einen russischen Soldaten pflegen, den Rittmeister Marow, der im Kriege erblindete. Ich suchte am Schmerzenslager eines Unglücklichen, den ich liebte, Sühne für mein sündhaftes Leben.
An dieser Stelle seines Berichts muß Massard sich vor der Tatsache beugen und anerkennen, daß die Polizeiberichte melden, die perverse Bajadere, die herzlose Kurtisane, die Frau, die eingestandenermaßen ihre bisherigen Gunstbezeugungen einen Luxusartikel für vernarrte Millionäre genannt hat, habe in ihren Beziehungen zu dem vom Schicksal geschlagenen moskowitischen Krieger eine mustergültige Zärtlichkeit an den Tag gelegt. »Sie pflegte ihn hingebend«, sagte er, »und versah ihn sogar mit Geldmitteln.« Eine flüchtige Laune? O nein. Nachdem sie lange bei ihm geweilt, hörte sie nicht auf, ihm zu schreiben, weder im Gefängnis, noch selbst am Rande ihres Grabes. Später werden wir sehen, wie sie tatsächlich beim Verlassen ihrer Zelle in Saint-Lazare, in ihrer letzten Stunde, wo in den Festungsgräben des Schlosses von Vincennes die Gewehre des Exekutions-Pelotons sie erwarten, nur ein Einziges sie beschäftigt, und das ist die Erlaubnis, ein letztes Abschiedswort dem geliebten Wesen schreiben zu dürfen.
Ein in Paris sehr bekannter russischer Diplomat, Graf Ignatief, gedenkt, sagt man,
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