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Mata Hari

Mata Hari

Titel: Mata Hari Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrique Gomez Carrillo
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Heute jedoch, im Frieden, in der wiedergefundenen Ordnung gibt es kaum eine strengere Pflicht, als die Revision der Urteile, auf denen der Nimbus des Geheimnisses zurückgeblieben ist, als vor aller Welt die Aktenstöße der Prozesse auszubreiten, auf denen noch der schwere Schatten des Zweifels ruht.
    Gestern unterbreiteten wir unsere Befürchtungen einem jener Justizbeamten, die im Prozeß gegen Mata Hari fungierten. Er antwortete uns:
    ›Sie wissen nicht alles ... Es gab da geheime Urkunden, die geradezu niederschmetternd waren ...‹
    Aber acht Jahre nachher ist das Geheimnis nicht mehr unerläßlich. Zur Beruhigung unseres Gewissens und auch zur erfolgreichen Beseitigung des fremden Feldzugs gegen diesen Prozeß, aus dem man letzten Endes Mata Hari als eine Miß Cavel, als eine Märtyrerin herausführen möchte, beanspruchen wir im Namen aller wahrheitsliebenden Franzosen die Veröffentlichung dieser Dokumente.«
    Fraglos sind sie unverzeihlich, besonders wenn man, wie der unversöhnliche Massard, die Triebfeder dafür im Eigennutz und im Trotz entdecken will. Für sechzigtausend Francs verschreibt eine Frau, zu deren Füßen Bankiers seufzen und Minister weinen, sich nicht der niedrigsten und gefährlichsten aller Beschäftigungen. Um kleinliche Rachegefühle, die mit ihrer Kunst zusammenhängen, zu befriedigen, setzt eine reiche, überall bewunderte Tänzerin nicht ihre Ehre und ihr Leben aufs Spiel.
    – Was also bleibt?
    That is the question.
Oder vielmehr, das ist das Geheimnis; um es zu ergründen, ist es vielleicht am besten, darüber nachzudenken, was es an Unklarem, Weiblichem, Unvernünftigem überhaupt gibt, was in den Augen eines ernsthaften Moralisten stets als literarische Phantasie gelten wird, was nur durch den Triumph der Eitelkeit und die Niederlage des Stolzes zu erklären ist, was uns schließlich immer und immer wieder zeigt, wie verworren, albern, schwach, sorglos, klein und blind das Menschenherz sein kann. Nicht sie trägt die Verantwortung, sondern der Egoismus der Männer, die die Frauen in den Abgrund stürzen. Sie wurde in erster Linie das Opfer ihres eigenen Prestiges. Die Deutschen wußten natürlich sehr wohl, welchen Vorteil sie aus ihren Beziehungen ziehen konnten, und so verführten sie diese Frau sehr geschickt mit kindlichen und unwiderstehlichen Schmeicheleien. »Sie sind die Einzige, die fähig ist zu verstehen ... Sie üben den größten Einfluß aus ... Sie wünschen den Frieden ... Sie fühlen die ganzen Schrecken des Krieges ... Sie könnten so mancher armen Familie Trauer, Tränen und viel Elend ersparen.« Und die schöne Dame in gutem Glauben, alle diese huldigenden Worte gelten ihr persönlich, ließ sich ins Netz der Spionage locken wie der Vogel auf den Leim. Hätte man ihr unumwunden irgendeine Summe angeboten, damit sie sich den Berliner Agenten zur Verfügung stelle, wäre dieses Ansinnen höchstwahrscheinlich als Beleidigung zurückgewiesen worden; aber die großen Organisatoren der verborgenen Kräfte waren höchst feine Psychologen, in allen Wassern des lichtscheuesten Diplomatenfaches gewaschen. Die Worte, die Dumur dem deutschen Gesandten in Bern auf die Lippen legt, sind echt: »Was uns am meisten fehlt, sind geschickte und kluge Freunde mit überlegener Begabung und vornehmer Gesinnung und bereit, uns in Paris zu helfen, all diesen Greueln ein Ende zu setzen. Die Franzosen sind in diesem Punkt passiv, und es wäre wichtig, ihnen das Verständnis dafür in ihrem eigenen Interesse beizubringen; wir, wir hassen niemand; wir wünschen einzig dem Ansturm von hundert gegen das Reich verbündeten Völkern nicht zu erliegen.« So wurde aus Arendsen bei Dumur ein Kleingläubiger und wahrscheinlich aus Mata Hari eine Spionin.
    Meine Hypothese erscheint vielleicht manchem ebenso schwach wie die Massards! Ich würde mich nicht darüber wundern. Von fern, durch Zeit und Raum betrachtet, haben die sittlichen Wechselfälle der europäischen Tragödie häufig ein unerklärliches Gesicht. Besonders bei allem, was auf die Spionage Bezug hat, muß man die Atmosphäre der großen neutralen Städte berücksichtigen, Genf, Madrid, Amsterdam, wenn man ein Bild davon gewinnen will, wie unwahrscheinlich leicht die deutschen Agenten mehr oder minder selbstlose Mitarbeiter in allen sozialen Klassen fanden. »In dem durch den Krieg erregten Strudel war die Spionage etwas ganz Geläufiges; alle gaben sich ihr hin, einer spionierte den anderen aus!«. In den kosmopolitischen Zirkeln

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